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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies
Autoren: Umberto Eco
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Glanz durch den Einklang des Ganzen entsteht, nicht durch ein Licht, das die Dinge von außen umhüllt oder die Farben über die Ränder der Figuren hinaustreten läßt. In den mittelalterlichen Miniaturen scheint das Licht aus dem Innern der Dinge zu strahlen.
    Für Isidor von Sevilla ist Marmor schön wegen seiner weißen Farbe, Metall wegen des Lichts, das es reflektiert, und selbst die Luft ist schön und hat ihren Namen aer/aeris vom Erz, weil dessen Name aes/aeris sich vom Glanz des aurum, also des Goldes herleite (tatsächlich schimmert sie wie Gold, sobald Licht auf sie trifft). Edelsteine sind schön wegen ihrer Farbe, denn Farbe ist nichts anderes als eingefangenes Sonnenlicht und puri-fizierte Materie. Augen sind schön, wenn sie strahlen, und am schönsten sind blaugrüne Augen. Zu den ersten Eigenschaften eines schönen Körpers gehört die rosige Haut. Bei den Dichtern ist dieser Sinn für die leuchtenden Farben stets präsent, Gras ist grün, Blut rot, Milch schneeweiß, eine schöne Frau hat für Guinizelli ein »Antlitz von Schnee, karmesinrot gefärbt« (um nicht von Petrarcas späteren »klaren, frischen und süßen Wassern« zu sprechen), die mystischen Visionen der Hildegard von Bingen führen uns gleißende Flammen vor Augen, und selbst die Schönheit des ersten gefallenen Engels verdankt sich edlen Steinen, die wie der gestirnte Himmel funkeln, so daß die unzählige Menge der Funken, die in der Pracht seiner Ornamente erglänzen, die Welt mit Licht erfüllt. Die gotische Kathedrale wird von messerscharfen Lichtstrahlen durchschnitten, die durch die bunten Fenster eindringen, um das Göttliche in die sonst dunklen Kirchenschiffe zu lassen, und genau um diesen Lichtbahnen Raum zu geben, wird der Platz für die Fenster und die Rosetten vergrößert, die Mauern verschwinden beinahe in einem Spiel von Strebepfeilern und Stützbögen, und der ganze Bau ist darauf angelegt, den Einfall des Lichts durch ein Gitterwerk durchbrochener Strukturen zu ermöglichen.
    Johan Huizinga erinnert in seiner Analyse der spätmittelalterlichen Ästhetik an die Begeisterung des Chronisten Froissart für die Schönheit vollaufgetakelter Schiffe mit ihren flatternden Fahnen und langen Wimpeln und farbenprächtigen, in der Sonne schimmernden Wappen, für das Glitzern der Sonnenstrahlen auf Helmen, Harnischen, Lanzenspitzen, Federbüschen und Bannern eines heranziehenden Reitertrupps; oder, bei den Farben der Wappen, an die Vorliebe für Kombinationen von Blaßgelb und Blau, Orange und Weiß, Orange und Rosa, Rosa und Weiß oder Schwarz und Weiß; oder auch an die Beschreibung einer jungen Dame, die in violetter Seide auf einem Zelter mit blauseidener Schabracke erscheint, geleitet von drei Männern in karmesinroter Seide mit Kappen aus grüner Seide.
    Ursprung dieser Leidenschaft für das Licht waren theologische Denkfiguren alt- und neuplatonischer Herkunft (das höchste Gut als Sonne der Ideen, die einfache
    Schönheit einer Farbe, ausgehend von einer Form, die das Dunkel der Materie beherrscht, die Schau Gottes als Licht, als Feuer, als Leuchtende Quelle). Die Theologen machten das Licht zu einem metaphysischen Prinzip, und da sich in denselben Jahrhunderten unter dem Einfluß der Araber die Optik entwickelte, kam es zu Reflexionen über die Wunder des Regenbogens und der Spiegel (die auch ein paarmal geheimnisvoll flimmernd im Paradiso auftauchen).
    Dante hat also seine Poetik des Lichts nicht erfunden, als er mit einem für die Dichtung sperrigen Material experimentierte. Er hat sie rings um sich her vorgefunden und neuformuliert für ein Publikum, das für Licht und Farbe eine Leidenschaft hatte. Einer der schönsten Aufsätze über das Paradiso, die ich kenne (Aspetti dellapoesia di Dante von Giovanni Getto, 1947), macht deutlich, daß es kein Bild vom Paradies gab, das nicht einer Tradition entsprang, die für den mittelalterlichen Leser zur Grundausstattung nicht bloß seiner Ideen, sondern mehr noch seiner alltäglichen Phantasien und Gefühle gehörte. Es ist die Tradition der Bibel und der Kirchenväter, aus der diese Licht- und Glanzbilder kommen, diese Flammenstrudel, diese himmlischen Leuchten und Sonnen, diese strahlenden Klarheiten, die sich erheben »wie ein sich erhellender Horizont«, diese candide rose und fiori rubiconde. Wie Getto schrieb: »Dante sah sich vor einer Sprechweise oder eher schon Sprache, die bereits fertig ausgebildet war, um die Realität des Geisteslebens auszudrücken, die
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