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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies
Autoren: Umberto Eco
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der
    Belagerung von Casale teilgenommen haben und dann bei
    Richelieus Tod anwesend sein sollte, also erst nach dem
    Dezember 1642 auf seine Insel gelangen konnte, aber
    nicht nach 1643, dem Jahr, in dem Abel Tasman durch
    jene Gegend der Südsee kam, wenn auch etwas früher im
    Kalender, als meine Geschichte dort spielte. Aber ich
    konnte die Geschichte nur in den Monaten Juli und August
    spielen lassen, denn zu dieser Zeit hatte ich die Fidschi-
    Inseln gesehen, und ein Segelschiff brauchte mehrere
    Monate, um dorthin zu gelangen. Das erklärt die roman-
    haft maliziösen Unterstellungen, die ich im Schlußkapitel
    mache, um mich und den Leser davon zu überzeugen, daß
    Abel Tasman vielleicht noch einmal in jenen Archipel
    zurückgekehrt war, ohne es jemandem erzählt zu haben.
    Hier kann man sehen, daß Zwänge auch eine heuristische
    Nützlichkeit haben können, indem sie zur Erfindung von
    399
    Verschwiegenheiten, Komplotten und Ambivalenzen
    führen.
    Man wird mich nun fragen: Und warum all diese
    Zwänge? War es denn wirklich notwendig, daß Roberto
    Richelieus Tod miterlebte? Keineswegs. Aber es war
    notwendig, daß ich mir Zwänge setzte. Sonst hätte sich die
    Geschichte nicht entwickeln können.
    Was die Zwänge der Romanform angeht, so sollte
    Roberto sich auf dem Schiff befinden, es nicht mehr
    verlassen können und vergeblich versuchen schwimmen
    zu lernen, um auf die Insel zu gelangen. Unterdessen sollte
    er, während er über Leben und Tod nachdachte, nach und
    nach die ganze Philosophie der Epoche erfinden und sie
    aus Torheit wieder verwerfen. Für einen gutwilligen Leser
    würde das mehr als nur ein Zwang sein, den ich mir
    gesetzt hätte, um mich zu stimulieren: Es würde die
    innerste Essenz des Begehrens sein. Ich wäre der letzte,
    der das verneinen könnte. Aber da ich hier davon spreche,
    wie ich geschrieben habe, und nicht, was der Leser in dem von mir Geschriebenen finden sollte oder könnte (denn um
    dies zu sagen, genügt entweder der Roman so, wie er ist,
    oder ich hätte besser daran getan, ihn nicht zu schreiben,
    und der Leser, ihn nicht zu lesen – was nicht auszu-
    schließen ist), will ich hier nur sagen: Einerseits ist es der Zwang, der dem Roman erlaubt, sich gemäß einem Sinn
    zu entwickeln, und andererseits ist es die noch unklare
    Vorstellung von diesem Sinn, die Zwänge nahelegt. Da
    jedoch das eine nicht ohne das andere abgeht, sprechen
    wir hier von Zwängen und nicht vom Sinn, der nicht zu
    den Dingen gehört, über die sich der Autor im nachhinein
    äußern darf.
    Nebenbei: Ein schamloser Zeitungsschmierer, der den
    Romanautor verhöhnen wollte, um den politisch
    engagierten Kolumnisten zu treffen, hat geschrieben, der
    400
    Roman sei ein einziger Akt der Masturbation. Bei aller
    Grobheit (auch in der Wortwahl) hat der Ahnungslose ins
    Schwarze getroffen: Onanistisch ist zweifellos, und zwar
    per definitionem, die Lage eines Schiffbrüchigen, der für
    immer vom Objekt seiner Leidenschaft getrennt ist. Nur
    hat der Hyliker, den ich hier meine, befangen in seiner
    eigenen dumpfen Fleischlichkeit Manna vom Himmel
    fallen sehen und es für Kot von häßlichen Vögeln ge-
    halten. Und nicht das »Mentale« – und letztlich Meta-
    physische – jener einsamen virtus erfaßt, jenes Versuchs, Sein zu erzeugen durch unkontrolliertes Verstreuen des
    Samens einer Seele, die aufgrund ihrer Einsamkeit so
    übererregt ist, daß sie Visionen sieht.
    Aber kommen wir zum Ergo. Ergo durfte Roberto das
    Schiff nicht verlassen (außer am Ende, aber mit
    Ungewissem Ziel und noch ungewisserem Ausgang). Ergo
    konnte alles, was nicht auf dem Schiff geschah, nur im
    Modus der Rückbesinnung erzählt werden, es sei denn,
    man verflachte den Plot auf die Fabel und erzählte linear,
    wie ein junger Mann zuerst nach Casale, dann nach Paris
    kommt und sich dann schiffbrüchig auf einem Schiff
    wiederfindet usw. Versucht es nur, wenn ihr wollt, aber
    ich versichere euch, so vergeblich meine Mühe gewesen
    sein mag, die eure wird noch vergeblicher sein.
    Dies hat mir nicht eine zeitliche Folge in Zickzack-
    sprüngen auferlegt, wie beim Foucaultschen Pendel ,
    sondern eine Gangart nach dem Muster einen-Schritt-vor-
    und-drei-zurück, einen-vor-und-zwei-zurück, einen-vor-
    und-einen-zurück . Roberto erinnert sich an etwas, und dabei geschieht etwas auf dem Schiff. Etwas geschieht auf
    dem Schiff, und Roberto erinnert sich an etwas. Nach und
    nach, während Robertos Erinnerungen von 1630 zu
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