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Die Brut

Titel: Die Brut
Autoren: Thea Dorn
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keine Umstände«, sagte der Kommissar und nahm in dem Sessel Platz, in dem eben noch Katharina gesessen hatte.
    »Und? Wie geht’s Victor?« Er schaute das Kind an. Tessa hatte das Gefühl, dass er noch grauer geworden war, seitdem sie ihn zuletzt gesehen hatte.
    »Wir haben ihn am Montag untersuchen lassen«, sagte sie und strich dem Kind über die Locken. »Der Arzt meint, dass ihm nichts fehlt.«
    »Dann ist ja gut.« Arndt Kramer lächelte.
    »Dass Victor zu uns zurückgekehrt ist, ist das größte Geschenk, das an Weihnachten jemals gemacht wurde«, sagte Sebastian überschwänglich.
    »Herr Kommissar«, fragte Tessas Stiefmutter, die an die vorderste Kante des Sofas gerückt war, »stimmt das, was ich über diese Frau gelesen habe, dass die schon als Mädchen ihrer besten Freundin die Puppe geklaut hat?«
    »Da wissen die Journalisten mehr als ich«, erwiderte Arndt Kramer. »Aber das soll ja vorkommen.«
    Herr Waldenfels gab ein leises Lachen von sich.
    »Aber dass da niemand was gemerkt hat! Die Nachbarn von der, die müssen doch mitgekriegt haben, dass die plötzlich ein Kind hat!« Tessas Stiefmutter ließ sich nicht beirren.
    »Ja, dieser Punkt kann einem merkwürdig erscheinen«, gab der Kommissar zurück. »Aber wenn Sie das Umfeld, in dem Frau Lembertz zuletzt gelebt hat, genauer kennen, hören Sie irgendwann auf, sich zu wundern. – Im letzten Jahr hatten wir zwei Leichen allein in diesem Block. Und immer sind wir erst von den Postboten verständigt worden, denen der Geruch aufgefallen ist.«
    Tessas Stiefmutter fasste sich an die paillettenübersäte Brust.
    »Neulich – ich weiß jetzt leider nicht mehr, in welcher Zeitung – habe ich einen langen Artikel darüber gelesen, dass sich in dieser Stadt schlimme soziale Brennpunkte gebildet haben«, sagte jetzt Herr Waldenfels. Zum ersten Mal an diesem Nachmittag schien ein Gespräch seine Aufmerksamkeit zu reizen.
    »Zwei Wohnblocks weiter haben wir letzte Woche einen Jungen festgenommen«, bestätigte der Kommissar. »In seinem Zimmer haben wir drei Handfeuerwaffen sichergestellt. Er soll die Nachbarsmädchen zur Prostitution gezwungen haben. Der Junge war vierzehn.«
    »Haben Sie Ihren Job nicht manchmal bis obenhin satt?«, erkundigte sich Feli, die ungewöhnlich interessiert gelauscht hatte. »Das muss einen doch völlig frusten, immer nur in der Scheiße zu wühlen.«
    »Wenn mich rosa Schlagsahne interessiert hätte, wäre ich Konditor geworden«, gab der Kommissar zurück. »Nein, im Ernst. Das Schlimmste an dem Job ist etwas anderes.« Er blickte zu Tessa, die das Kind auf ihrem Schoß hielt, und lächelte. »Neunundneunzig Prozent der Verbrechen, die begangen werden, sind eine Beleidigung des menschlichen Intellekts. Alibis, die so dumm sind, dass ich nur einen Anruf machen muss, um sie als falsch zu entlarven. Arme Schlucker, die ihre Frau zerstückeln, aber dann nicht mehr den Nerv haben zu warten, bis Fiffi wirklich hungrig genug ist, und sich lieber stellen.«
    »Echt, so einen Fall hatten Sie mal?«, fragte Feli und biss in eine Pfeffernuss. »Krass.«
    »Herr Kommissar, diese Frau, wenn die sich nicht selbst umgebracht hätte, welche Strafe hätte sie wohl bekommen?« Tessas Stiefmutter war bemüht, das Gespräch aus den allzu unweihnachtlichen Tiefen herauszunavigieren.
    »Das ist schwer zu sagen«, erwiderte Kommissar Kramer höflich. »Sie war schon seit Jahren nicht mehr in psychiatrischer Behandlung, das heißt, wir haben kein aktuelles Gutachten. Ich vermute dennoch, ein guter Verteidiger hätte erreicht, dass sie nicht ins Gefängnis, sondern in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen worden wäre.«
    »Da können wir ja von Glück reden, dass sie sich selbst erhängt hat.«
    »Mama«, stöhnte Feli, »warum wanderst du nicht nach Texas aus?«
    »Ich frage mich, was diese arme Frau in ihrer Kindheit durchlitten haben muss, um später so etwas Verzweifeltes zu tun«, sagte Frau Waldenfels nachdenklich.
    »In der Zeitung hab ich gelesen, dass diese Frau Tausende von Artikeln über meine Tochter gesammelt hat«, warf Tessas Stiefmutter schnell ein.
    Arndt Kramer nickte. »Frau Lembertz muss Ihre Tochter schon lange im Auge gehabt haben. – Apropos. Bevor ich es vergessse –« Er griff in die Innentasche seines Jacketts und zog ein Foto hervor. »Das haben wir in der Wohnung von Frau Lembertz gefunden«, sagte er zu Tessa. »Ich dachte mir, Sie würden es vielleicht haben wollen.«
    Sie starrte auf den postkartengroßen Abzug,
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