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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Autoren: Jan Guillou
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war.
    Die Zeiten standen jedoch vollkommen kopf. Nicht genug damit, dass man den Krieg verloren hatte. Darüber hinaus hatten sie es jetzt mit Streiks, Aufständen und umstürzlerischen Aktivitäten zu tun. Die Lage war chaotisch gewesen, genauer gesagt mehr als chaotisch, denn man konnte beim besten Willen nicht behaupten, dass die Ordnung wiederhergestellt war, am allerwenigsten in Berlin.
    Walther Knobe war keineswegs ein Gegner der Todesstrafe, nicht einmal was politische Straftaten betraf. Dahingegen fand er »außerrechtliche Hinrichtungen«, wie die schöne Umschreibung lautete, allerdings vollkommen ungebührlich. Als irgendein Befehlshaber der Bürgerwehr bei ihm erschienen war, um sich ihm als Freiwilliger für ein Exekutionskommando anzudienen, hatte er einen Wutanfall bekommen. Der Mann war doch völlig verwirrt, wenn er glaubte, man könnte einfach einen Trupp Gefangener auf den Hof führen und erschießen und dass nur der Mangel an schießkundigem Personal innerhalb des Gefängniswesens der Grund dafür war, weshalb das noch nicht geschehen war.
    In der Stadt war es allerdings ruhiger geworden, seit das Militär die Jüdin Luxemburg und den Aufwiegler Liebknecht »außerrechtlich« hatte hinrichten lassen. Trotzdem mussten solche Sitten als einem Rechtsstaat unwürdig erachtet werden. Auch solche unerwünschten Elemente hatten einen Anspruch auf einen ordentlichen Prozess. In diesem Punkt sah sich Walther Knobe zu keinen Kompromissen bereit.
    Jetzt hatte er trotzdem über hundert politische Gefangene am Hals, die ihm vom Militär und nicht von einem Gericht übergeben worden waren. Dem Militär war es nicht wichtig, dass für jeden Einzelnen der Verdacht auf eine Straftat vorliegen musste, es befand alle »Unruhestifter bösartigen Charakters« für kollektiv schuldig. Welcher Straftat war jedoch unklar, vermutlich Aufruhr und Landesverrat.
    Rein rechtlich hätte er sie alle freilassen müssen, sobald der Lärm der Stiefel im Treppenhaus verklungen war. Aber in diesen unruhigen Zeiten hielt er diese juristisch korrekte Maßnahme dann doch für zu gewagt. Er musste schließlich auch an seine eigene Haut denken. Also wartete er lieber ab, bis sich die Lage noch etwas mehr beruhigte. Dann konnte er sie in kleinen Grüppchen in die Freiheit schleusen.
    Er war an seinem Schreibtisch ins Grübeln geraten und hatte vollkommen vergessen, dass ein Arzt, der ihn in einer wichtigen und »delikaten« Angelegenheit sprechen wollte, auf Einlass wartete.
    Delikate Angelegenheiten waren im Gefängnis Moabit selten. Vermutlich hatte er den Besucher nur aufgrund dieser Formulierung nicht abweisen lassen.
    Seine Sekretärin klopfte vorsichtig an die Tür und teilte ihm mit, Dr. Lauritzen warte jetzt schon seit über zwanzig Minuten.
    Knobe sah mit Erstaunen eine Frau eintreten, noch dazu eine äußerst elegant gekleidete, zweifellos eine Dame von Welt.
    Er sprang auf, grüßte so höflich, wie ohne Handkuss nur möglich, und deutete dann auf die ramponierte Besucherbank, auf der im Laufe der Jahre nur Männer gesessen hatten.
    »Womit kann ich Ihnen dienen?«, fragte er freundlich, nachdem er wieder an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte. Er war neugierig geworden.
    »Ich bin Dr. Ingeborg Lauritzen, geborene von Freital«, stellte sie sich vor. »Und ich komme, wie ich bereits angekündigt habe, in einer äußerst delikaten Angelegenheit zu Ihnen.«
    Sie war ruhig und ihrer Sache sehr sicher, und ihr graublauer Blick wich dem seinen nicht aus.
    »Eben das hat mich neugierig gemacht«, erwiderte er. »Was in aller Welt könnte in einem so düsteren Gemäuer wie dem Gefängnis Moabit delikat sein?«
    »Es geht um eine Ihrer Gefangenen, eine Jugendfreundin von mir. Christa von Moltke«, fuhr sie ruhig fort, als handele es sich um einen ganz gewöhnlichen Namen.
    »Von Moltke, das ist nicht möglich!«, wandte Knobe ein. »Aus dieser Familie hat garantiert noch nie jemand in Moabit eingesessen und garantiert auch jetzt nicht. Es muss sich um ein schwerwiegendes Missverständnis handeln.«
    »Davon bin ich vollkommen überzeugt. Es könnte daran
liegen, dass sich die Freiherrin unter einem anderen Namen hier aufhält, nämlich Christa Künstler.«
    »Aha. Aber dieser Sache können wir gleich auf den Grund gehen«, antwortete er, erhob sich und ging zu seiner Sekretärin. Er kehrte wenig später mit einem dicken, in rotes Leder gebundenen Buch zurück, legte es auf den Schreibtisch und setzte seine Lesebrille auf.
    »Und
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