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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Autoren: Jan Guillou
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warum nennt sich die Freiherrin Künstler?«, fragte er, während er mit dem Zeigefinger die Namensliste der kürzlich aufgenommenen Häftlinge durchging.
    »Die Freiherrin pflegte Umgang mit der Boheme. Ich könnte mir vorstellen, dass sie ihren wirklichen Namen in diesen Kreisen etwas … unbequem fand.«
    »Ja! Hier habe ich sie«, stellte Walther Knobe zufrieden fest. »Boheme, sagen Sie. Ist das eine Umschreibung für politische Aktivisten? Das würde einiges erklären.«
    »Ich glaube, dass sich junge Künstler heute immer mit politischen Fragen befassen«, antwortete Ingeborg vorsichtig. Wahrscheinlich war der Gefängnisdirektor konservativ.
    Trotzdem ließ er keine Feindseligkeit erkennen, sondern gab sich mit dieser vagen Antwort auf die unausgesprochene Frage, ob die Inhaftierte vielleicht Anarchistin oder noch etwas Schlimmeres sei, zufrieden.
    »Nun«, meinte er seltsam vergnügt. »Wir haben Ihre Freundin gefunden. Was schlagen Sie nun vor?«
    »Das kommt darauf an. Welche Straftat wird ihr vorgeworfen?«
    »Aufruhr und Landesverrat.«
    »Das kann nicht sein.«
    »Doch. Allerdings wirft man ihr nichts Konkretes vor. Sie gehört zu einer Gruppe von fast hundert Personen, die
mir das Militär mit der Anweisung, sie bis auf Weiteres zu beherbergen, übergeben hat.«
    Ingeborg zögerte mit ihrer Antwort. Sollte sie in die Offensive gehen oder weiblich-unterwürfig spielen? Sie entschied sich für die Offensive.
    »Wir haben es hier mit einem Skandal zu tun!«, sagte sie mit etwas lauterer Stimme.
    »Zweifellos. Und wie sollen wir uns aus dieser Zwickmühle befreien? Was schlagen Sie vor, Frau Doktor?«
    Sie musste erneut nachdenken. Der Mann schien durchaus mit sich reden lassen zu wollen. Und er hatte in der Tat einen Skandal am Hals.
    »Zum einen«, antwortete sie, »würde ich die Freiherrin gerne untersuchen, um mir eine Vorstellung von ihrem Gesundheitszustand zu machen. Weiterhin würde ich ihr gerne neue Kleider übergeben, die ihr besser anstehen als die Kleider, die sie vermutlich hier in der Anstalt trägt. Drittens schlage ich vor, dass ich mit ihr dann diskret von hier wegspaziere. Dadurch ließe sich vermeiden, dass der Umstand, dass die Freiherrin von Moltke ohne Anklage im Gefängnis Moabit eingesperrt worden ist, zu einem Skandal führt. Die Zeitungen würden diese Geschichte lieben.«
    »In diesem Punkt haben Sie natürlich vollkommen recht«, meinte der Gefängnisdirektor. »Vorausgesetzt, dass Ihre Behauptungen zutreffen. In diesem Falle werden wir bereits heute, sicherlich bereits heute so vorgehen, wie Sie das vorgeschlagen haben, Frau Doktor.«
    »Vorausgesetzt, dass meine Behauptungen zutreffen? Wie meinen Sie das, Herr Direktor? Wollen Sie mich nach dieser bislang so zivilisierten Unterhaltung etwa beleidigen?«
    Sie war wirklich beleidigt und unternahm nichts, das zu verbergen.
    »Sie müssen entschuldigen, Frau Doktor, aber die Gefängniswelt ist voller kühner und listiger Fluchtgeschichten. In meinem Beruf neigt man zu ausgeprägtem Misstrauen. Sie haben doch nichts dagegen, dass wir einen kleinen Test durchführen?«
    »Nicht im Geringsten.«
    »Ausgezeichnet. Ich werde die Freiherrin von Moltke beziehungsweise Fräulein Künstler jetzt rufen lassen. Wenn sie das Zimmer betritt, könnten Sie dann so freundlich sein, nicht mit der Gefangenen zu sprechen? Ich will ihr erst einige Fragen stellen.«
    »Natürlich.«
    Während der zehnminütigen Wartezeit unterhielten sie sich über das Wetter, die Teuerung und den Umzug der Regierung nach Weimar. Beide fanden dies gleichermaßen anstrengend.
    Als Christa hereingeführt wurde, trug sie, wie Ingeborg vermutet hatte, Lumpen, wies Spuren von Misshandlungen auf und blickte trotzig und unwirsch drein. Dann entdeckte sie Ingeborg. Der sie begleitende Wärter musste sie davon abhalten, auf Ingeborg zuzustürzen und sie zu umarmen. Ingeborg versuchte ihr zu verstehen zu geben, dass sie nichts sagen durfte.
    »Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen, Gefangene zwei-zwei-eins-drei«, begann Walther Knobe streng. »Wer ist die Dame auf der Bank?«
    Christa war einen Moment ratlos, als der Gefängnisdirektor und Ingeborg einen Blick wechselten. Ingeborg nickte ihr aufmunternd zu.
    »Die Dame ist meine beste Freundin Ingeborg Lauritzen, geborene von Freital, aufgewachsen auf Schloss Freital und in Dresden. Seit neunzehnhundertsieben wohnt sie in Norwegen«, sagte Christa rasch. »Genügt das als Antwort?«
    »Das genügt vollkommen. Und dann zur
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