Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brücke am Kwai

Die Brücke am Kwai

Titel: Die Brücke am Kwai
Autoren: Pierre Boulle
Vom Netzwerk:
entziehen, ohne einen Akt des Ungehorsams zu begehen.
    Für sich selbst sah der Oberst nur eine mögliche Verhaltensweise: er mußte an Ort und Stelle abwarten, bis ein höherer japanischer Offizier kam, um seine und seiner Truppen Übergabe entgegenzunehmen. »Welch ein Beispiel gäbe man der Truppe«, sagte er, »wenn ihre Vorgesetzten sich pflichtwidrig verhielten!«
    Seine Argumente wurden von der Stärke und dem Nachdruck unterstützt, die sein Blick in Stunden schwerer Entscheidungen annahm. Seine Augen hatten die Farbe des Indischen Ozeans bei schönem Wetter, und sein immer ruhiges Gesicht war das Abbild einer Seele, die keine Gewissensqualen kennt. Er trug den rotblonden Schnurrbart friedfertiger Helden, und der rötliche Schimmer seiner Haut zeugte von einem reinen Herzen, das über eine untadelige, kräftige und regelmäßige Blutzirkulation herrschte. Clipton, der ihm den ganzen Feldzug hindurch gefolgt war, wunderte sich jeden Tag aufs neue, wenn er sah, wie vor seinen Augen »der britische Offizier der indischen Armee«, den er immer für ein Fabelwesen gehalten hatte, in dem Obersten leibhaftige Gestalt annahm und wie dieses Wesen seine Leibhaftigkeit mit einer Intensität bekundete, die in ihm jene Gemütserregungen hervorrief und ihn zwischen empörter Wut und Rührung schwanken ließ.
    Clipton war für die Sache der jungen Offiziere eingetreten.
    Er billigte ihr Verhalten, und er sprach das laut aus. Oberst Nicholson machte ihm deswegen bittere Vorwürfe, wobei er seine schmerzliche Überraschung darüber zum Ausdruck brachte, daß ein Mann in reifem Alter und in seiner verantwortungsvollen Stellung die trügerischen Hoffnungen hirnloser junger Leute teilte und abenteuerliche Phantastereien förderte, die nie zu einem guten Ende führen.
    Nachdem der Oberst seine Gründe dargelegt hatte, erteilte er genaue und strenge Befehle. Alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften sollten an Ort und Stelle die Ankunft der Japaner abwarten. Da die Übergabe keine persönliche Angelegenheit sei, brauchten sie sich in keiner Weise gedemütigt zu fühlen. Er allein trage dafür die Verantwortung.
    Die Mehrzahl der Offiziere resignierte damals, denn seine Überredungskraft war groß, seine Autorität beträchtlich, und seine persönliche, unbestrittene Tapferkeit verbot es, seinem Verhalten einen anderen Beweggrund als Pflichtgefühl zuzuschreiben. Einige verweigerten den Gehorsam und zogen in den Dschungel. Oberst Nicholson empfand darüber aufrichtigen Schmerz. Er ließ sie als Deserteure eintragen und erwartete voller Ungeduld das Eintreffen der Japaner.
    Im Hinblick auf dieses Ereignis hatte er sich eine von nüchterner Würde getragene Zeremonie ausgedacht. Nach längerer Überlegung hatte er sich dafür entschieden, dem feindlichen Obersten seinen Revolver, den er umgeschnallt trug, als Symbol für seine Unterwerfung zu überreichen.
    Diese Geste probte er mehrmals, bis er sicher war, daß er die Revolvertasche mühelos abschnallen konnte. Er legte seine beste Uniform an und verlangte, daß auch die Mannschaften ihre Monturen in tadellose Verfassung brachten.
    Dann ließ er antreten und gab Befehl, Gewehrpyramiden zusammenzustellen, von deren exakter Ausrichtung er sich selbst überzeugte.
    Einfache japanische Soldaten, die keine Sprache der zivilisierten Welt sprachen, erschienen als erste auf der Bildfläche. Oberst Nicholson rührte sich nicht. Dann traf ein Unteroffizier mit einem Lastwagen ein, der den Engländern durch Zeichen zu verstehen gab, sie sollten ihre Waffen in das Fahrzeug legen. Der Oberst verbot seiner Truppe, sich zu rühren. Er verlangte nach einem höheren Offizier.
    Ein Offizier war nicht zur Stelle, weder einer von niederem noch einer von höherem Dienstgrad, und die Japaner begriffen sein Verlangen nicht. Sie waren verärgert. Sie nahmen eine drohende Haltung an, während der Unteroffizier ein heiseres Gebrüll ausstieß und auf die Gewehrpyramiden deutete. Der Oberst gab seinen Mannschaften Befehl, regungslos an Ort und Stelle zu verharren. Man richtete Maschinenpistolen auf sie, und der Oberst wurde rücksichtslos angerempelt. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und wiederholte sein Verlangen. Die Engländer blickten einander unruhig an, und Clipton fragte sich schon, ob ihr Chef sie alle aus Liebe zu Prinzipien und zur Form massakrieren lassen wollte, als endlich ein mit japanischen Offizieren besetztes Fahrzeug eintraf. Einer von den Offizieren trug die Rangabzeichen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher