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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen
Autoren: Michael Peinkofer
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ihres Sieges genießen – er würde nicht von langer Dauer sein. Der Triumph auf den Feldern von Bannockburn trug den Keim der Niederlage schon in sich. Bald würde das Land erneut zerfallen und in Chaos und Krieg versinken. Dennoch war an diesem Tag ein bedeutender Sieg errungen worden.
    Ehrfurchtsvoll näherte sich Kala dem Schwert. Auch jetzt, da es keinen Besitzer mehr hatte, schien noch große Kraft von ihm auszugehen. Kraft, die zum Guten wie zum Bösen genutzt werden konnte.
    Lange hatte diese Klinge das Schicksal des schottischen Volkes bestimmt. Nun aber, da sie von den Mächtigen verraten worden war, hatte sie allen Glanz verloren. Es war Zeit, das Schwert dorthin zurückzubringen, von woher es stammte, und sich des Fluchs zu entledigen, den es in sich barg.
    Der Kampf um das Schicksal Schottlands war entschieden, genau wie die Runen es vorausgesagt hatten. Die Geschichte würde sich nicht an das erinnern, was heute in Wahrheit geschehen war, und die wenigen, die es wussten, würden schon bald nicht mehr sein.
    Doch die Runen hatten Kala nicht alles gesagt.

 

Erstes Buch
    Im Zeichen der Rune
     

 

1.
    Archiv von Dryburgh Abbey, Kelso
Mai 1822
    I n der alten Halle herrschte völlige Stille.
    Es war die Ehrfurcht gebietende Stille überdauerter Jahrhunderte, die über der Bibliothek von Dryburgh Abbey lag und jeden gefangen nahm, der sie betrat.
    Die Abtei selbst existierte nicht mehr; schon im Jahre 1544 hatten die Engländer unter Somerset das ehrwürdige Gemäuer geschleift. Dennoch war es mutigen Mönchen des Prämonstratenser-Ordens gelungen, den größten Teil der Klosterbibliothek zu retten und an einen unbekannten Ort zu bringen. Vor rund hundert Jahren waren die Bücher wieder entdeckt worden, und der erste Herzog von Roxburghe, der als Förderer von Kunst und Kultur bekannt gewesen war, hatte dafür gesorgt, dass die Bibliothek von Dryburgh am Ortsrand von Kelso eine neue Bleibe fand: in einem alten, aus Backsteinen errichteten Kornhaus, unter dessen hohem Dach die unzähligen Folianten, Bände und Schriftrollen seither lagerten.
    Das gesammelte Wissen vergangener Jahrhunderte wurde hier aufbewahrt: Abschriften und Übersetzungen antiker Aufzeichnungen, die die dunklen Zeitalter überdauert hatten, Chroniken und Annalen des Mittelalters, in denen die Taten der Monarchen festgehalten worden waren. Auf Pergament und brüchigem Papier, an dem der Zahn der Zeit genagt hatte, war die Geschichte hier noch lebendig. Wer sich an diesem Ort in sie vertiefte, den umwehte der Odem der Vergangenheit.
    Eben dies war der Grund, warum Jonathan Milton die Bibliothek so sehr mochte. Schon als Junge hatte die Vergangenheit einen eigentümlichen Reiz auf ihn ausgeübt, und er hatte sich weit mehr für die Geschichten interessiert, die ihm sein Großvater vom alten Schottland und über die Clans der Highlands erzählt hatte, als für die Kriege und Despoten seiner eigenen Tage. Jonathan war überzeugt davon, dass die Menschen aus der Geschichte lernen konnten – allerdings nur dann, wenn sie sich der Vergangenheit bewusst wurden. Und ein Ort wie die Bibliothek von Dryburgh, die davon durchdrungen war, lud wahrhaftig dazu ein.
    Hier arbeiten zu dürfen war für den jungen Mann, der an der Universität von Edinburgh historische Studien betrieb, wie ein Geschenk. Sein Herz pochte, als er den großen Folianten aus dem Regal hievte. Staub wölkte auf und brachte ihn zum Husten. Dennoch presste er das Buch, das an die dreißig Pfund wiegen mochte, an sich wie einen wertvollen Besitz. Dann nahm er den Kerzenleuchter und stieg über die schmale Wendeltreppe nach unten, wo die Lesetische standen.
    Vorsichtig bettete er den Folianten auf den massiven Eichenholztisch und nahm Platz, um ihn zu sichten. Jonathan war geradezu begierig zu erfahren, welchen Schatz er aus den Gründen vergangener Zeiten gehoben hatte.
    Wie man hörte, waren noch längst nicht alle Schriften der Bibliothek geprüft und katalogisiert worden. Die wenigen Mönche, die vom Kloster abgestellt waren, um den Bestand der Bibliothek zu pflegen, waren mit dieser Aufgabe überlastet, sodass noch immer verborgene Perlen in den verstaubten und von dichten Spinnweben überzogenen Regalen schlummern mochten. Allein der Gedanke, eine davon zu entdecken, ließ Jonathans Herz höher schlagen.
    Dabei war er eigentlich nicht hier, um die Geschichtswissenschaften um neue Erkenntnisse zu bereichern. Seine tatsächliche Aufgabe bestand darin, einfache Recherchen
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