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Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)

Titel: Die Bruderschaft der Nacht: Thriller (German Edition)
Autoren: John Connolly
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weinte er, nicht wegen all des Schmutzes und des Schutts, sondern aus Wut, Schmerz und Trauer. Er konnte nicht mehr aufhören, nicht einmal als er Schritte hörte, schwere Stiefel, die sich näherten, und ein Soldat eine Taschenlampe auf sein Gesicht richtete. Hinter ihm waren andere, die ihre Waffen im Anschlag hatten.
    »Sir, wer sind Sie?«, fragte der Soldat.
    Dr. Al-Daini antwortete nicht. Er konnte es nicht. Wie gebannt blickte er auf die Augen des zerschmetterten Mädchens.
    »Sir, können Sie Englisch? Ich frage Sie noch einmal: Wer sind Sie?«
    Dr. Al-Daini bemerkte die Nervosität, die im Tonfall des Soldaten mitschwang, aber auch eine Spur Arroganz, die Überheblichkeit des Eroberers gegenüber dem Eroberten. Er seufzte und blickte auf.
    »Mein Name ist Dr. Mufid Al-Daini«, sagte er, »und ich bin zweiter Kurator für die römischen Altertümer in diesem Museum.« Dann dachte er kurz nach. »Nein, ich war zweiter Kurator für die römischen Altertümer, denn jetzt gibt es kein Museum mehr. Jetzt gibt es nur noch Trümmer. Ihr habt das geschehen lassen. Ihr habt danebengestanden und es geschehen lassen …«
    Doch er sprach ebenso zu sich wie zu ihnen, und die Worte wurden in seinem Mund zu Asche. Die Mitarbeiter hatten das Museum am Dienstag verlassen. Am Samstag hatten sie erfahren, dass das Museum geplündert worden war, worauf sie zurückgekehrt waren, um den Schaden einzuschätzen und weitere Diebstähle zu verhindern. Jemand sagte, die Plünderung habe bereits am Donnerstag begonnen, als sich Hunderte von Menschen am Zaun vor dem Museum zusammenrotteten. Zwei Tage lang konnten sie ungehindert plündern. Es gab bereits Gerüchte, dass Insider beteiligt gewesen seien, Museumswächter, die es auf die wertvollsten Artefakte abgesehen hatten. Die Diebe nahmen alles mit, was sich fortschaffen ließ, und viele der Gegenstände, die sie nicht mitnehmen konnten, versuchten sie zu zerstören.
    Dr. Al-Daini und ein paar andere Mitarbeiter hatten sich zum Hauptquartier der Marineinfanterie begeben und um Hilfe beim Absichern des Gebäudes gebeten, denn die Museumsangestellten befürchteten, dass die Plünderer zurückkehren könnten. Die Besatzungen der US -Panzer, die an der nur fünfzig Meter vom Museum entfernten Kreuzung standen, hatten sich auf ihre Befehle berufen und geweigert, ihnen beizustehen. Zu guter Letzt hatten ihnen die Amerikaner versprochen, Wachen zu schicken, aber erst jetzt, am Mittwoch, waren sie gekommen. Dr. Al-Daini war kurz vor ihnen eingetroffen, denn er war damit betraut worden, als Verbindungsmann zwischen den Soldaten und den Medien zu fungieren, und war deshalb in den vergangenen Tagen bei einem Offizier nach dem anderen vorstellig geworden und hatte Kontakte für Journalisten hergestellt.
    Vorsichtig hob er den Kopf des zerschmetterten Mädchens hoch, das so jung und doch uralt war und an dessen Haaren, Mund und Augen auch nach fast viertausend Jahren noch die Farbe zu sehen war.
    »Schaut her«, sagte er immer noch weinend, »schaut, was sie ihr angetan haben.«
    Und die Soldaten starrten einen Moment lang auf den mit weißem Staub bedeckten alten Mann, der einen hohlen Kopf in den Händen hielt, bevor sie weiterzogen, um die geplünderten Hallen des Irakischen Nationalmuseums zu sichern. Es waren junge Männer, und bei diesem Einsatz ging es um die Zukunft, nicht um die Vergangenheit. Bislang hatte noch keiner das Leben verloren, hier jedenfalls nicht. So etwas kam vor.
    Schließlich herrschte Krieg.
    Dr. Al-Daini schaute den Soldaten hinterher. Dann blickte er sich um und sah einen mit Farbe bespritzten Stofflappen neben einer umgestürzten Vitrine liegen. Er sah sich ihn genauer an und stellte fest, dass er halbwegs sauber war; dann schlug er den Kopf in das Tuch ein und verknotete die vier Ecken, damit er ihn einfacher tragen konnte. Müde stand er nun da, der Kopf baumelte von seiner Hand wie von der Hand eines Henkers, der seinem Potentaten den Beweis seines blutigen Werkes überbringt, denn das Gesicht des Mädchens war so lebensecht und Dr. Al-Daini war so bedrückt und schockiert, dass es ihn nicht gewundert hätte, wenn aus dem abgetrennten Hals Blutstropfen durch den Stoff gesickert und wie Blütenblätter auf den staubigen Boden gefallen wären. Ringsum waren überall Erinnerungen an das, was hier einst gewesen war, Lücken, die wie offene Wunden klafften. Man hatte Skelette ihres Schmuckes beraubt und die Knochen verstreut. Statuen hatte man die Köpfe abgeschlagen,
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