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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue
Autoren: Paul Auster
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jetzt gibst du mir das. Das werde ich dir nie vergessen, mein Engel. Ein altes Weib wie ich – und kriege einen Heiratsantrag. Ichwill nicht heulen, aber Mann, Mannomann, dass du mich so gern hast, haut mich wirklich um.»
    Ich war erleichtert, dass sie über meinen Antrag Tränen der Rührung vergoss. Denn das bedeutete, unsere Verbindung war etwas Solides, das nicht so bald in Stücke gehen würde. Aber ich muss zugeben, ebenso erleichtert war ich, dass Joyce mir einen Korb gegeben hatte. Ich hatte eine große Geste gemacht, aber ehrlich gesagt war ich da mit mir selbst nicht einig gewesen, und sie kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich in der Tat nicht zum Ehemann taugte. Überhaupt hatten wir beide keinen Grund, zu heiraten. Und so stand denn, um den unsterblichen Magister Pangloss zu zitieren, alles zum Besten – zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich den Kuchen essen und doch behalten.
     
    Joyce trocknete ihre Tränen, und zwei Wochen später wohnten Aurora und Lucy in ihrem Haus. Das war für alle Beteiligten eine vernünftige Lösung, aber so logisch es sein mochte, dass Mutter und Tochter wieder zusammenlebten, darf man nicht vergessen, wie schwer es Tom und Honey fiel, ihr junges Mündel ziehen zu lassen. Sie hatten sich seit Monaten um Lucy gekümmert, und im Lauf der Zeit waren die drei zu einer soliden kleinen Familie geworden. Im Sommer, als ich sie in die Obhut der beiden gab, hatte ich selbst einen ähnlichen Schmerz empfunden, und dabei war sie nur wenige Wochen bei mir gewesen. Wenn ich an die fünfeinhalb Monate dachte, die sie mit ihr verbracht hatten, konnte ich nur mit ihnen mitfühlen – ganz gleich, wie glücklich wir alle waren, dass Aurora wohlbehalten in Brooklyn gelandet war. «Sie muss bei ihrer Mutter leben», sagte ich zu Tom und versuchte mich in Lebensklugheit. «Aber ein Teil von Lucy bleibt bei uns, bei jedem Einzelnen vonuns. Sie ist auch unser Mädchen, und daran wird sich nie etwas ändern.»
    So hart es sie ankam, Lucy zu verlieren, hatte die kurze Zeit ihrer Ersatzelternschaft Tom und Honey immerhin davon überzeugt, dass sie eigene Kinder haben wollten. Vorläufig standen noch eine Menge praktischer Aufgaben an – sie mussten Harrys Haus verkaufen, sich eine neue Wohnung suchen, Bewerbungen für Lehrerjobs in der Stadt verschicken   –, aber als das alles erledigt war, warf Honey ihr Diaphragma weg, und die beiden machten sich ans Werk, in nächtlicher Kleinarbeit den Grundstein für eine Familie zu legen. Im März 2001 bezogen sie eine Eigentumswohnung in der Third Street zwischen Sixth und Seventh Avenue: luftige, lichtdurchflutete Räumlichkeiten im dritten Stock, mit einem großen Wohnzimmer nach vorne raus, einer bescheidenen Küche samt Esszimmer in der Mitte und einem schmalen Flur, der zu drei kleinen Schlafzimmern im hinteren Teil führte (von denen Tom eins zum Arbeitszimmer umbaute). Als sie sich in dieser Wohnung niederließen, gab es Brightman’s Attic nicht mehr. Da der Käufer des Gebäudes unter anderem die Bedingung gestellt hatte, dass die Bücher aus den Geschäftsräumen entfernt werden sollten, hatte Tom zu Beginn des Jahres in hektischer Eile den gesamten Warenbestand von Harrys Laden veräußern müssen. Taschenbücher wurden zu fünf oder zehn Cent, gebundene Bücher zu drei Stück für einen Dollar verschleudert, und was bis zum ersten Februar nicht verkauft war, wurde Krankenhäusern, Wohltätigkeitsorganisationen und Seemannsmissionen gespendet. Ich half bei dieser kummervollen Arbeit, und auch wenn wenigstens die seltenen Bücher und Erstausgaben aus der zweiten Etage einen erheblichen Betrag einbrachten (selbst zu den Spottpreisen, die Tom akzeptierte, um die komplette Sammlung an einen einzigenHändler in Great Barrington, Massachusetts, loszuwerden), machte es wahrlich keinen Spaß, an der Zerschlagung von Harrys Reich mitzuwirken – vor allem, als ich erfuhr, was der neue Besitzer mit den aufgelösten Geschäftsräumen vorhatte. Die Bücher machten Platz für Damenschuhe und Handtaschen, und die oberen drei Etagen des Gebäudes wurden zu teuren Eigentumswohnungen umgestaltet. Grundbesitz ist die offizielle Religion von New York, und ihr Gott trägt einen grauen Nadelstreifenanzug und hört auf den Namen Geld, Mister Immermehr Geld. Wenn diese bittere Wendung der Ereignisse überhaupt etwas Tröstliches für mich hatte, dann war es das Wissen, dass Tom und Rufus nie mehr in finanzielle Schwierigkeiten geraten konnten. Zum
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