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Die Braut des Shawnee-Kriegers

Die Braut des Shawnee-Kriegers

Titel: Die Braut des Shawnee-Kriegers
Autoren: Elizabeth Lane
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Phänomen."
    "Ein Phänomen?" Kopfschüttelnd wiederholte sie das Wort, das sich aus dem Mund eines halb nackten Wilden mit Silberscheiben in den Ohren und Adlerfedern in der Skalplocke äußerst merkwürdig anhörte. "Ich habe keine Ahnung, was du damit sagen willst."
    Das Sonnenlicht spielte auf seinen breiten Schultern, während er das Kanu geschickt um einen Felsblock lenkte. "Was du durchgemacht hast, würde jede andere weiße Frau in die Knie zwingen", sagte er. "Doch du lässt dich offenbar nicht kleinkriegen."
    "Wie man sieht, verstehst du nicht viel von weißen Frauen", gab Clarissa schnippisch zurück. Sie war noch immer ein wenig benommen. "Hast du gedacht, ich würde in Ohnmacht fallen? Oder klagen und jammern wie ein dummes Huhn? Nur damit du es weißt, so etwas ist unter meiner Würde. Die Tränen habe ich mir längst abgewöhnt."
    Sie wandte ihm wieder den Rücken zu und schaute in das grünlich-braune Wasser. Wie tief es wohl war? Womöglich könnte sie ans Ufer waten und in den Wald fliehen. Es wäre ein großes und gefährliches Risiko, aber selbst wenn sie ertrank, wäre das vielleicht ein gnädigeres Los als das, was sie im Shawnee-Dorf erwartete.
    "Wo kommst du her?" fragte sie, um ihn abzulenken und dabei den richtigen Augenblick zur Flucht abzuwarten. "Deine Sprache, was du gelegentlich sagst, es hört sich nicht an, als hättest du deine Kindheit in einer Blockhütte am Allegheny verbracht."
    Als er nicht antwortete, begriff Clarissa, dass sie verbotenes Terrain betreten hatte. Wolf Heart, der seine Vergangenheit begraben hatte, war auf diesem Ohr offenbar taub.
    "Na schön, wenn du nicht reden willst, tue ich es eben." Sie war wild entschlossen, ihn mit ihrem Geplapper abzulenken. "Mein Vater war Tuchhändler. Ihm gehörte eines der besten Geschäfte in Baltimore. Er und meine Mutter waren sehr glücklich miteinander, wenn ich mich recht erinnere, doch sie starb, als ich sechs war. Danach hat Mrs. Pimm, unsere Haushälterin, mich aufgezogen."
    Clarissa sprach in den Wind hinein, der die Worte zu dem brütend schweigenden Mann hinter ihr trug. "Mein Vater starb vor sieben Jahren, und mein Bruder Junius, der zu dem Zeitpunkt bereits erwachsen war, erbte Haus und Geschäft. Wir sind nie besonders gut miteinander ausgekommen, Junius und ich. Er hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass er die Tage zählt, bis ich meine Mitgift nehme und ihn mit seinen kostbaren, verstaubten alten Kontobüchern allein lasse."
    Clarissa blickte über die Schulter zurück, um sich zu vergewissern, dass Wolf Heart ihr auch zuhörte. Sein Gesicht wirkte steinern, als ob er sich Mühe geben müsste, weder Gefühle noch Interesse zu zeigen.
    "Meine Mitgift besteht aus einem schönen, großen Grundstück direkt vor der Stadt und fünfzig Pfund in Gold", fuhr sie fort, ohne sich von seinem Schweigen beirren zu lassen. "Das alles geht natürlich an meinen Ehemann, wenn ich heirate."
    Ihre Stimme erstarb, als ihr plötzlich klar wurde, dass sie wohl nicht lange genug leben würde, um einen Ehemann mit ihrer Mitgift zu beglücken. Grundstück und Geld würden an den Pfennigfuchser Junius fallen und niemandem etwas nütze sein. Ihre sterblichen Überreste würden hier in dieser Wildnis in ungeweihter Erde liegen, unbeweint und vergessen.
    Tränen trübten ihren Blick. Wütend blinzelte sie sie fort. Ihr erbarmungsloser Bewacher sollte sie nicht sehen. Sie straffte die Schultern und räusperte sich, um weiterzusprechen, doch sie brachte kein Wort mehr heraus. Tiefes Schweigen senkte sich über das Kanu.
    "Ich bin in Boston geboren", hörte sie plötzlich seine Stimme leise und ein wenig belegt hinter sich. Ein Zittern überlief ihren Körper. "Mein Vater war Lehrer, ein guter, freundlicher Mann, bis meine Mutter starb. Dann begann er zu trinken, und das änderte alles."
    Wolf Heart verfiel wieder in Schweigen, und Clarissa spürte den Kampf, der in seinem Innern tobte. Er war kein Mann, der sich anderen leicht öffnete, das wusste sie bereits. Dieses zögernde Preisgeben seiner Vergangenheit berührte sie ganz sonderbar, als hätte er ihr – im Austausch für ihr leeres Geplapper – ein seltenes, wertvolles Geschenk gemacht.
    Die Minuten verstrichen, und man hörte nur das Rauschen des Wassers und das Zwitschern der Vögel. Schließlich räusperte er sich und begann wieder zu sprechen, doch bei jedem Wort spürte sie den Schmerz, den die Erinnerung in ihm auslöste.
    "Der Whiskey verwandelte meinen Vater in einen
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