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Die Braut des Nil

Die Braut des Nil

Titel: Die Braut des Nil
Autoren: Christian Jacq
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Tempel?«
    Der Meister
runzelte die Stirn.
    »Das darfst
du nicht wissen. Wir haben nichts zu fordern. Begnüge dich damit, zu arbeiten.
Wenn du zu neugierig bist, wird dich dieses Laster vom Tempel entfernen.«
    Kamose biss
sich auf die Lippen. Er hatte einen Fehler begangen. Aber die Antwort des
Meisters lieferte ihm eine wertvolle Information. Wer zur Elite der Handwerker
gehörte, hatte sicherlich Zugang zum geschlossenen Tempel.
    »Wie lautet
die Aufgabe für mein Meisterstück?«
    Der Meister
sah seinen Lehrling lange an.
    »Eine Sphinx
aus vergoldetem Holz.«
    »Wann soll
ich damit beginnen?«
    »Wann du
möchtest.«
    »Dann beginne
ich noch heute Nacht. Darf ich Euch um Rat fragen?«
    »Nein. Ab
jetzt musst du etwas riskieren. Aber mach dich auf strengste Kritik von mir
gefasst.«
    »Was setzt
Ihr mir für eine Frist?«
    »Keine. Setze
du selbst die Zeit fest, die du brauchst. Sei du verantwortlich für dein Werk –
und zwar du ganz allein.«
    »Und wenn ich
scheitere?«
    »Dann
beginnst du von neuem.«
    Kamose hielt
einen Moment dem Blick seines Meisters stand, dann verbeugte er sich
respektvoll vor ihm, wie es die Handwerksregel verlangte.
    Er war fest
entschlossen, dem Meister zu beweisen, dass dieser ihm zu Recht sein Vertrauen
geschenkt hatte.
     
     
    Kamose
verließ die Werkstatt nicht mehr. Er aß und schlief dort, redete mit niemandem
und widmete sich nur noch dem Klotz aus Akazienholz, aus dem er seine Sphinx zu
schnitzen begonnen hatte. Bald nahmen der längliche Körper, die Beine, der um
den Körper geschlungene Schwanz und das Gesicht Form an. Kamose konnte perfekt
mit dem Dechsel umgehen, und so verschwand allmählich selbst die letzte
Unvollkommenheit. Die Vergoldung erforderte lange Tage sorgfältigster,
aufmerksamster Arbeit von ihm, aber er hatte den Eindruck, als gelänge sie ihm.
    Die Sphinx
aus vergoldetem Holz war fertig.
    Genau in dem
Augenblick, als Kamose sein Werkzeug beiseite legte, erschien der Meister.
    »Lass dein
Werk hier«, befahl er, »und komm mit.«
    Kamose
verließ die Werkstatt, in der er fast vergessen hatte, dass es Tage und Nächte
gab. Gleißendes Sonnenlicht blendete ihn.
    Der Meister
führte ihn zur Unterkunft eines seiner Kollegen, eines großen, hageren Mannes,
von dem die Lehrlinge sagten, er besäße den Schlüssel zur heiligen Geometrie.
    »Verbeuge
dich vor dem Geometermeister«, befahl der Handwerksmeister, der bisher Kamoses
Lehrherr gewesen war.
    Kamose
gehorchte unverzüglich. Der Geometermeister schüchterte ihn genauso ein wie
seine Kameraden.
    Der Meister
vertraute Kamose zweien seiner Helfer an, die genauso wortkarg und abweisend
waren wie er selbst.
    Sie nahmen
dem jungen Mann die Lederschürze ab und führten ihn in einen Waschraum, wo er
aufgefordert wurde, sich gründlich zu waschen. Als er sich gesäubert hatte,
führten ihn die beiden Helfer in einen winzigen Raum mit kahlen Wänden.
    Die Tür
schloss sich, und völlige Dunkelheit umgab ihn.
    Kamose atmete
langsam und schaffte es allmählich, seine Befürchtungen abklingen zu lassen.
Nach einiger Zeit hatte er den Eindruck, ein Licht erkennen zu können, das aus
einer Unmenge winziger Leuchtpunkte inmitten der Steine drang.
    Ob es ein
Irrtum gewesen war, den Weg der Handwerker einzuschlagen? Natürlich hatte er
dadurch keine materiellen Sorgen mehr und eine Arbeit, die ihn begeisterte.
Aber so näherte er sich nur sehr, sehr langsam den Büros des Katasteramtes.
Während seine Karriere voranschritt, verkümmerte das Leben seiner Eltern. Er
allein war für ihr Wohlbefinden verantwortlich. War er nicht auf bestem Wege,
sie zu vergessen, sie zu verlassen?
    In der Einsamkeit verging die
Zeit schnell.
    Die beiden
Helfer holten ihn wieder ab. Sie banden ihm einen makellos weißen Lendenschurz
um und führten ihn in einen großen Raum, in dem alle Handwerksmeister des
Tempels von Karnak auf Steinbänken Platz genommen hatten. Kamose erkannte nur
den, bei dem er gelernt hatte, und den Geometermeister. Woher kamen die
anderen? Aus dem geschlossenen Tempel oder aus entfernten Provinzen? Ihre
Gesichter waren so streng, dass Kamose überzeugt war, er sei durchgefallen.
    Sein Meisterstück, die
vergoldete Sphinx, thronte in der Mitte des Raumes.
    Das Gericht
wurde vom Geometermeister geleitet.
    »Lehrling
Kamose«, erklärte dieser mit tiefer Stimme, »wir sind hier versammelt, um dein
Meisterstück zu prüfen. Die Ausführung ist gut, es ist von hervorragender
Qualität. Du kennst deine Werkzeuge und
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