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Die blutige Sonne

Die blutige Sonne

Titel: Die blutige Sonne
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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mein Bruder sich beim Holzhacken in den Schenkel schnitt, habe ich ihn genäht, und ich habe auch der Hebamme schon geholfen. Ihr haltet das Licht.«
    Erleichtert übergab Kindra ihr die Nadel. Annelys begann ihre Arbeit so geschickt, als sticke sie ein Kissen. Als sie zur Hälfte fertig war, kam das Mädchen wieder zu sich und stieß einen schwachen Angstschrei aus. Aber Kindra sprach mit ihr, und sie beruhigte sich und lag still, die Zähne in die Unterlippe gebohrt, die Hand um Kindras Hand geklammert. Dann befeuchtete sie ihre Lippen und flüsterte: »Ist sie eine von euch, mestra? «
    »Nein. Ebensowenig wie du selbst, Kind. Aber sie ist eine Freundin. Und sie wird dich nicht verraten, das weiß ich«, erklärte Kindra zuversichtlich.
    Als Annelys fertig war, holte sie ein Glas Wein für das fremde Mädchen und hielt ihren Kopf, während sie trank. Etwas Farbe kam in die bleichen Wangen zurück, und der Atem ging leichter. Annelys brachte eins ihrer eigenen Nachthemden herbei. »Darin wird es dir bequemer sein, glaube ich. Ich wünschte, wir könnten dich in mein Bett tragen, aber du solltest jetzt besser nicht bewegt werden. Kindra, hilf mir, sie zu heben.« Mit einem Kissen und zwei sauberen Leintüchern richtete sie der Frau ein schönes Bett auf dem Strohballen her.
    Die Fremde gab einen schwachen Protestlaut von sich, als sie begannen, sie auszuziehen, war aber zu schwach, um sich wirksam dagegen zu wehren. Kindra sah sie entsetzt an, als das Unterhemd entfernt war. Sie hätte nie geglaubt, daß irgendein Mädchen über vierzehn sich unter Männern mit Erfolg als Mann ausgeben könne. Doch diese Frau hatte es getan, und jetzt sah sie auch, wie. Die enthüllte Brust war flach; die Schultern hatten die harte Muskulatur wie bei jedem Schwertkämpfer. Die Haare, die auf den Armen wuchsen, wären von einer anderen Frau mit einem Bleichmittel oder Wachs irgendwie entfernt worden. Annelys starrte verblüfft auf die Fremde. Diese merkte es und verbarg ihr Gesicht in dem Kissen. Kindra sagte scharf: »Das ist kein Grund zum Glotzen. Sie ist emmasca , das ist alles. Hast du noch nie eine gesehen?« Die Operation, durch die eine Frau zum Neutrum gemacht wurde, war auf ganz Darkover gesetzlich verboten und gefährlich, und bei dieser Frau mußte sie vor oder kurz nach der Pubertät durchgeführt worden sein. Kindra steckte voll von Fragen, doch die Höflichkeit verbot ihr, auch nur eine zu stellen.
    »Aber … aber …« flüsterte Annelys. »Ist sie so geboren oder so gemacht worden? Es ist ungesetzlich – wer würde es wagen …«
    »So gemacht worden«, sagte das Mädchen, das Gesicht immer noch dem Kissen zugekehrt. »Wäre ich so geboren worden, hätte ich nichts zu fürchten gehabt … und ich wählte diesen Weg, damit ich nie mehr etwas zu fürchten habe!«
    Sie preßte die Lippen zusammen, als die beiden anderen sie hoben und umdrehten. Annelys keuchte auf, als sie die schrecklichen Narben, die wie die Striemen von Peitschenhieben waren, auf dem Rücken der Frau entdeckte. Aber sie sagte nichts, sie zog nur das Nachthemd herunter, das die Narben gnädig verhüllte. Behutsam wusch sie der Frau Gesicht und Hände mit Seifenwasser. Das ingwerfarbene Haar war dunkel vor Schweiß, doch an den Wurzeln entdeckte Kindra etwas anderes: Dort begann es, feuerrot nachzuwachsen.
    Comyn. Die Telepathen-Kaste, rothaarig … Diese Frau war eine Adlige, dazu geboren, in den Domänen von Darkover zu herrschen!
    Im Namen aller Götter, fragte sich Kindra, wer kann sie sein, was ist ihr zugestoßen? Wie ist sie in dieser Verkleidung hergeraten? Und sogar ihre Haar hat sie gebleicht, damit niemand ihre Abstammung erraten konnte! Und wer hat sie so mißhandelt? Sie mußte geschlagen worden sein wie ein Tier …
    Und dann hörte sie zu ihrem Schrecken Worte, die sich, sie wußte nicht wie, in ihrem Geist bildeten.
    Narbengesicht , sagte die Gedankenstimme. Aber jetzt bin ich gerächt. Selbst wenn es meinen Tod bedeutet …
    Kindra bekam es mit der Angst zu tun. Noch nie hatte sie Gedanken so deutlich empfangen. Bisher war ihre rudimentäre telepathische Begabung immer eine Sache schneller Intuition, einer Ahnung gewesen, als habe sie glücklich geraten. In ihrer Bestürzung flüsterte sie: »Bei der Göttin! Kind, wer bist du?«
    Das bleiche Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, die Kindra mitleidig als den Versuch eines Lächelns erkannte. »Ich bin … niemand. Ich hatte mich für die Tochter von Alaric Lindir gehalten. Habt ihr
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