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Die blutige Sonne

Die blutige Sonne

Titel: Die blutige Sonne
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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ihre Familie überlebt, um ihre Rache zu planen und auszuführen, wie es ein Edelmann getan hätte.
    Und die stolzen Comyn haben diese Frau von sich gewiesen? Sie hat mehr Mut als zwei von ihrem Mannsvolk! Diese Art von Stolz und Torheit ist es, die eines Tages die Herrschaft der Comyn in Trümmer fallen lassen wird! Und sie erschauerte unter einem seltsamen Blick in die Zukunft. Mit ihrer erwachenden telepathischen Begabung sah sie Flammen über den Hellers, merkwürdige Himmelsschiffe, fremde Männer, die, in schwarzes Leder gekleidet, durch die Straßen von Thendara gingen …
    Das Mädchen hatte die Augen geschlossen. Ihre Hand faßte die Kindras fester. »Nun, ich habe meine Rache gehabt«, flüsterte sie, »und jetzt kann ich sterben. Und mit meinem letzten Atemzug will ich Euch segnen dafür, daß ich als Frau sterbe und nicht in dieser verhaßten Verkleidung unter Männern …«
    »Aber du wirst nicht sterben«, sagte Kindra. »Du wirst leben, Kind.«
    »Nein.« Ihr Gesicht verschloß sich. »Was hält das Leben für eine Frau ohne Freunde und Verwandte bereit? Ich konnte es ertragen, einsam und verkleidet unter Männern zu leben, solange ich die Gedanken an meine Rache hatte, die mir Kraft für die Aufrechterhaltung der Täuschung gaben. Aber ich hasse Männer. Ich verabscheue die Art, wie sie unter sich über Frauen sprechen, ich möchte lieber sterben, als zu Brydars Truppe zurückzukehren oder weiterhin unter Männern zu leben.«
    Annelys sagte leise: »Aber jetzt hast du dich gerächt, jetzt kannst du wieder als Frau leben.«
    Wieder schüttelte die Namenlose den Kopf. »Als Frau leben, Männern wie meinem Vater unterworfen? Zurückkehren und bei meiner Mutter um einen Unterschlupf betteln? Sie würde mir wohl heimlich Brot zustecken, damit ich ihnen nicht noch mehr Schande mache, indem ich auf ihrer Türschwelle sterbe, und mich verstecken. Soll ich mich placken, nähen oder spinnen, wenn ich frei mit einer Söldnertruppe geritten bin? Oder soll ich als einsame Frau leben und von der Gnade der Männer abhängig sein? Lieber will ich mich der Gnade des Schneesturms und des Banshees überlassen!« Sie umklammerte Kindras Hand. »Nein, lieber möchte ich sterben.«
    Kindra nahm das Mädchen in die Arme und zog sie an ihre Brust. »Still, mein armes Mädchen, still, du bist außer dir, du darfst nicht so reden. Wenn du dich ausgeschlafen hast, wirst du anders denken«, tröstete sie, aber sie spürte die Tiefe der Verzweiflung in dieser Frau, und der Zorn in ihr wuchs.
    Die Gesetze ihrer Gilde verboten ihr, über die Schwesternschaft zu sprechen, diesem Mädchen zu erzählen, daß sie frei leben konnte, geschützt von dem Freibrief der Gilde, daß sie nie mehr der Gnade irgendeines Mannes ausgeliefert zu sein brauchte. Diese Gesetze der Gilde durfte sie nicht brechen. Sie mußte ihren Eid halten. Und doch, brach sie in einem tieferen Sinn ihren Eid nicht gerade dadurch, daß sie dieser Frau, die so große Gefahren auf sich genommen und sich im Namen der Göttin an sie gewandt hatte, das Wissen vorenthielt, das ihr den Lebenswillen zurückgeben konnte?
    Ob ich so oder so handele, ich werde zur Meineidigen. Entweder breche ich meinen Eid, indem ich diesem Mädchen meine Hilfe versage, oder ich breche ihn, indem ich ausspreche, was das Gesetz mir auszusprechen verbietet .
    Das Gesetz! Das von Männern gemachte Gesetz, das sie immer noch von allen Seiten einengte, obwohl sie die gewöhnlichen Gesetze abgeschüttelt hatte, nach denen die Männer die Frauen zu leben zwangen! Und sie war zweifach verdammt, wenn sie vor Annelys von der Gilde sprach, wenn auch Annelys an ihrer Seite gekämpft hatte. Das gerechte Gesetz der Hellers beschützte Annelys vor diesem Wissen. Die Schwesternschaft würde Schwierigkeiten bekommen, wenn Kindra die Tochter einer ehrbaren Gasthofbesitzerin, deren Mutter ihre Hilfe und die ihres zukünftigen Ehemannes brauchte, aus dem Elternhaus weglockte!
    Das namenlose Mädchen an ihrer Brust hatte die Augen geschlossen. Kindra nahm einen dünnen Gedankenfaden wahr. Sie wußte, daß Mitglieder der Telepathenkaste sich durch einen bloßen Entschluß das Leben nehmen konnten … so wie dies Mädchen sich durch einen bloßen Entschluß das Leben gegeben hatte, bis die heißersehnte Rache vollzogen war.
    Laß mich so einschlafen … und ich stelle mir vor, ich liege wieder in den Armen meiner Mutter, damals, als ich noch ihr Kind war und dies Entsetzen mich noch nicht berührt hatte … Laß mich
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