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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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immer das, was zu
äußern am klügsten war.
Abu Dun kam ihm zuvor. »Ich habe Wasser gesucht, um die Pferde
zu versorgen. Und um ein… äh… menschliches Bedürfnis zu verrichten.«
»Er lügt«, sagte Stanik kühl.
Ulrics Blick verharrte auf Andrejs Gesicht und veränderte sich nach
und nach. Er kam zu einem Entschluss. »Ja, so muss es wohl gewesen sein«, sagte er in amüsiertem Ton, ohne deutlich zu machen,
wem diese Antwort nun galt: Abu Duns wenig glaubhafter Behauptung oder dem schnellen Urteil seines Sohnes.
»Wenn die Angelegenheit damit geklärt ist…«, begann Andrej.
Ulric schnitt ihm mit einer unwilligen Bewegung das Wort ab.
»Wartet dort drüben bei den Bäumen«, forderte er ihn mit einer Geste in Richtung des Waldrands hinter ihnen auf. »Wir reden später
miteinander.«
Wieder spürte Andrej, wie sich Abu Dun neben ihm anspannte. Er
brachte sich mit einem ebenso raschen wie zufällig wirkenden Schritt
genau zwischen Ulric und den Nubier. Gern hätte er den Blickkontakt zwischen ihnen unterbrochen, was allerdings daran scheiterte,
dass Abu Dun ihn um Haupteslänge überragte.
»Wir wollten ohnehin eine Rast einlegen«, sagte er rasch.
»Sicher.« Ulrics Stimme klang nun vollends eisig. Er wedelte ungeduldig mit der Hand und trat wieder unbehaglich auf der Stelle.
Seine Füße mussten mittlerweile höllisch schmerzen, dachte Andrej.
Er gönnte es ihm.
Zu seiner Erleichterung beließ es auch Abu Dun bei einem abschließenden finsteren Blick, während sie sich umwandten und die
wenigen Schritte zum Waldrand zurücklegten.
Sie blieben nicht allein. Nicht nur Stanik, sondern auch die vier anderen schlossen sich ihnen an und bildeten einen Halbkreis zwischen
ihnen und dem Waldrand - gerade nahe genug, um sie hören zu können (sollten sie so unvorsichtig sein, in normaler Lautstärke miteinander zu sprechen) und gerade weit genug, um nicht eingreifen zu
können, falls Andrej und Abu Dun aufspringen und ihre Waffen ziehen sollten. Noch ungeschickter konnten sie sich nicht benehmen.
Nicht, dass Andrej das beruhigt hätte. Wenn er schon die Wahl hatte, dann zog er es im Allgemeinen vor, sich mit einem halbwegs intelligenten Gegner auseinander zu setzen.
Er suchte sich eine Erhebung im Schnee, von der er hoffte, dass
sich darunter ein Baumstumpf oder ein Felsen verbarg und kein steif
gefrorener Leichnam, ließ sich darauf nieder und sah zu, wie sich
Abu Dun mit untergeschlagenen Beinen neben ihm in den Schnee
sinken ließ. Es erstaunte ihn, dass Abu Dun immer noch schwieg. Im
Vergleich zu früher war er ruhiger geworden, aber darauf war nicht
unbedingt Verlass.
»Was hältst du von dieser Sache?«, fragte er, in normaler Lautstärke, aber in Abu Duns Muttersprache Arabisch.
Abu Dun sah ihn nicht an, als er antwortete. »Was soll ich davon
halten? Es sind unruhige Zeiten, wie dein neuer Freund sich ausdrücken würde.«
»Mein neuer Freund?«
Abu Dun deutete mit dem Kinn auf Ulric, sah Andrej aber immer
noch nicht an, sondern starrte auf einen Punkt in den Baumwipfeln
auf der anderen Seite des Baches. Unwillkürlich folgte Andrej seinem Blick und runzelte im nächsten Moment überrascht die Stirn, als
er die riesige weiße Eule sah, die - nahezu unsichtbar - in den verschneiten Ästen saß und den Kopf mit kleinen ruckartigen Bewegungen hin und her drehte, um dem Geschehen auf der Lichtung unter
sich zu folgen. Das Tier benahm sich wirklich sonderbar.
Abu Dun und er waren nicht die Einzigen, denen das eigenartige
Verhalten der Eule aufgefallen war. Stanik raffte eine Hand voll
Schnee zusammen, knetete ihn eine Weile, bis der Ball zu einer
schmutzigen Kugel aus Eis geworden war, die er nach der Eule
schleuderte - mit großer Wucht, aber geringer Treffsicherheit. Der
Eisklumpen traf nicht einmal den Baum, auf dem das Tier saß.
Abu Dun lachte leise, und der Langhaarige fuhr mit einer zornigen
Bewegung herum und funkelte ihn an. »Schweigt!«, fauchte er den
Nubier an. »Und sprecht in einer Sprache, die wir verstehen können!«
»Ganz wie Ihr befehlt, Herr«, sagte Abu Dun und neigte spöttisch
das Haupt. »Aber würdet Ihr einem unwissenden Mohren die große
Gnade erweisen, ihm den Sinn Eurer zweifellos weisen Worte zu
erklären? Ich meine: Was soll ich nun tun? Schweigen - oder in einer
Sprache sprechen, die Ihr versteht? Nebenbei bemerkt… wie
schweigt man in Eurer Sprache?«
Staniks Gesicht verfinsterte sich weiter, und Andrej legte Abu Dun
rasch beruhigend die Hand auf
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