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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Dach und ein warmes
Feuer - und wenn Ihr mit dem zufrieden seid, was einfache Bauern
wie wir haben, auch etwas zu essen.«
»Und das alles gegen einen bescheidenen Obolus, nehme ich an?«
Ulric grinste. Offensichtlich war ihm die Idee bisher noch gar nicht
gekommen, aber ebenso unverkennbar gefiel sie ihm. »Einen sehr
bescheidenen«, sagte er.
Stanik sog hörbar die Luft ein. »Vater! Du willst doch nicht im
Ernst diesen Heiden unter unserem Dach…«
»Schweig!«, unterbrach ihn Ulric. Sein Blick ließ den Andrejs keine Sekunde los. »Nun, Andrej Delãny - was sagt Ihr?«
Offenbar war er der Meinung, Andrej ein Angebot unterbreitet zu
haben, das dieser nicht ausschlagen konnte.
»Warum eigentlich nicht?«, fragte er.
Abu Dun grunzte. »Aber wir…«
»… wollen gewiss diese Nacht nicht im Schnee verbringen«, fiel
ihm Andrej ins Wort. Er warf Abu Dun einen fast beschwörenden
Blick zu, der weder Ulric noch dessen Söhnen entgehen konnte, aber
das war ihm gleichgültig. Abu Duns ohnehin nicht besonders duldsame Miene verfinsterte sich weiter, aber er hob nur die Schultern.
Andrej wandte sich wieder an den Grauhaarigen. »Wir nehmen Eure Einladung gerne an«, sagte er.
Ulric nickte, als habe er nichts anderes erwartet, und wandte sich
mit einer entsprechenden Geste an seine Begleiter. »Gehen wir. Heute ist es zu spät, um die Toten zu bergen. Wir kommen morgen wieder und sorgen dafür, dass sie ein… christliches Begräbnis bekommen.«
Täuschte sich Andrej, oder hatte er ganz kurz gezögert und Abu
Dun mit einem raschen, verächtlichen Blick gestreift, bevor er das
Wort christlich ausgesprochen hatte?
Andrej beschloss, den Gedanken vorerst nicht weiter zu verfolgen
und nickte Abu Dun nur kurz auffordernd zu. Als er sich umdrehte,
streifte sein Blick noch einmal die Bäume auf der anderen Seite des
Baches.
Die Eule saß noch immer vollkommen reglos in den verschneiten
Ästen, aber nun starrte sie eindeutig ihn an.
    Wie sich zeigte, hatte Ulric die Wahrheit gesagt, sowohl was die
Entfernung zu seinem Haus als auch dessen Einfachheit anging. Sie
mussten einen längeren Fußmarsch zurücklegen, bevor sie Ulrics
Heim erreichten. Das Haus war zwar unerwartet groß, aber sehr
schlicht. Es lag auf einer großen Lichtung am Ufer desselben Baches,
an dem sie die Toten gefunden hatten. An dieser Stelle war er breiter
und nicht so reißend, sodass er fast zur Gänze zugefroren war. Ohne
den Schnee, der in der vergangenen Nacht fast kniehoch gefallen
war, hätte Andrej einen kleinen Gemüsegarten sehen können. Der
windschiefe Zaun, der knapp ein Drittel der Lichtung zwischen dem
Wald und dem zugefrorenen Bach abteilte, hätte den zertrampelten
Morast eines Schweinegeheges markiert. Vielleicht hätte das Gebäude sogar recht ansehnlich gewirkt oder zumindest halbwegs einladend. So aber hatte Andrej im ersten Moment Mühe, es überhaupt zu
sehen. Unter dem frisch gefallenen Schnee, der die Luft nicht nur mit
einer unwirklichen Ruhe erfüllte, sondern auch die Konturen der
Dinge verwischte und alle Linien sonderbar weich erscheinen ließ,
hätten die niedrigen Gebäude auch eine Reihe flacher Erdhügel oder
eine Ansammlung großer Zelte sein können. Es waren drei Kamine
zu erkennen, aber nur aus einem kräuselte sich dünner hellgrauer
Rauch in den nahezu wolkenlosen Himmel, dessen Farbe den Schnee
ringsum noch heller erstrahlen ließ.
    »Hier also lebt Ihr?«, fragte Andrej. Er hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, nachdem sie eine gute halbe Stunde in nahezu vollkommenem Schweigen durch den Wald gewandert waren.
    Dennoch blieb Ulric stehen und sah ihn fast bestürzt an. »Es ist sicher nicht die Art von Unterkunft, die Männer wie Ihr gewohnt
seid«, sagte er. Er machte eine Geste zu dem rauchenden Kamin hinauf. »Aber wir haben einen warmen Platz am Feuer für Euch, und
meine Frau ist eine gute Köchin.«
    Andrej antwortete nicht, sondern bedeutete Ulric nur mit einem
knappen Nicken weiterzugehen. Sie legten die restliche Wegstrecke
in schärferem Tempo zurück. Es bereitete Ulric jetzt sichtlich Mühe,
sich überhaupt noch fortzubewegen. Er hatte während des gesamten
Weges keinen Laut der Klage hören lassen, aber seine Füße mussten
mittlerweile zu Eisklumpen gefroren sein. Andrej hätte es nicht überrascht, wenn der alte Mann wirklich ein paar Zehen einbüßen müsste.
    So ungastlich Ulrics Zuhause auch von außen wirken mochte, innen
war es warm, trocken und überraschend
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