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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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aus Feiglingen Helden machen, aber in den meisten Fällen verwandelte sie vernünftige Männer in Dummköpfe.
Abu Dun schien die Lage ähnlich einzuschätzen, denn er entspannte
sich zwar ein wenig, trat aber mit einer wohl überlegten raschen Bewegung zurück an Andrejs Seite. Im Falle eines Angriffs genügte
eine kurze Drehung, und sie standen Rücken an Rücken. Auch die
Hand des Nubiers blieb weiter auf dem Griff seines Krummsäbels.
Andrej hoffte, dass der Gefährte nichts Unbedachtes tat. Abu Dun
neigte manchmal zu drastischen Maßnahmen.
Ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten, wandte er sich an den
ihm am nächsten stehenden Gegner. Der hoch gewachsene, hagere
Bursche mit dem schulterlangen verfilzten Haar stand offenbar kurz
vor dem Verhungern, was auch für jeden einzelnen der anderen
Männer galt.
»Wir haben mit dem, was hier geschehen ist, nichts zu tun«, begann
er.
Sein Gegenüber sah ihn so verständnislos an, dass Andrej sich fragte, ob der Bursche ihn überhaupt verstanden hatte. Er wartete zwei,
drei Atemzüge lang vergeblich auf eine Reaktion, dann fragte er:
»Wer seid Ihr?«
»Die Fragen stelle ich, Fremder.«
Die Antwort stammte nicht von dem jungen Kerl mit dem verfilzten
Haar, sondern von einer Stimme in Andrejs Rücken.
Andrej ließ einige Augenblicke verstreichen, bevor er sich umdrehte und die drei Männer musterte, die hinter ihnen aufgetaucht waren.
Zwei von ihnen unterschieden sich kaum von dem jungen Kerl.
Zweifellos waren sie Brüder, wirkten aber noch abgerissener als dieser. Der dritte und älteste von ihnen war vermutlich der Vater der
drei anderen.
»Dann solltet Ihr Eure Frage auch stellen, guter Mann«, sagte Andrej ruhig und ohne zu lächeln.
»Es ist dieselbe wie die Eure, Fremder«, antwortete der Mann.
»Wer seid Ihr, und was habt Ihr hier verloren?«
Obwohl er nicht hinsah, spürte Andrej, wie sich Abu Dun neben
ihm anspannte. »Mein Name ist Andrej«, erwiderte er rasch. »Andrej
Delãny. Und das ist Abu Dun, mein Weggefährte.«
»Andrej, so«, antwortete sein Gegenüber. Seine Augen wurden
schmal, während ihr Blick kurz und taxierend über die hünenhafte
Gestalt des Nubiers und dann - deutlich länger - über Andrejs Gesicht glitt. »Und was tut Ihr hier, Andrej Delãny?«, wollte er wissen.
Andrej hörte, wie Abu Dun die Luft einsog und zu einer Antwort
ansetzen wollte, und kam ihm rasch zuvor. »Im Augenblick fragen
wir uns, was hier passiert ist.« Er wies mit einer Handbewegung auf
den Toten, der unmittelbar neben ihnen lag. »Und wer das getan
hat.«
»Vielleicht habt Ihr das getan?«, schlug der Grauhaarige lauernd
vor.
»Sicher«, antwortete Andrej. Er breitete bedauernd die Hände aus.
»Ihr habt uns erwischt. Wir haben all diese Leute niedergemetzelt
und dann in Stücke gehackt. Unglückseligerweise seid Ihr ein bisschen zu früh gekommen. Mein Freund hier ist nämlich ein mächtiger
Zauberer aus dem Morgenland, der es gerade noch einmal schneien
lassen wollte, um die Spuren unserer schändlichen Tat zu verbergen.
Das erste Mal hat es nicht richtig geklappt, wie Ihr ja seht. Aber man
muss ihm seinen Fehler nachsehen. Er hat nicht viel Erfahrung mit
Schnee. Da, wo er herkommt, ist Schnee ziemlich selten.«
Andrej war bewusst, was für ein gefährliches Spiel er spielte, und
im ersten Moment schien die Bestürzung, die sich auf dem Gesicht
seines Gegenübers abzeichnete, seine Befürchtungen zu bestätigen.
Dessen Miene verfinsterte sich noch weiter, und in seinen Augen
blitzte blanke Wut auf.
Dann legte sein Zorn sich ebenso plötzlich wieder, wie er aufgekommen war. »Ihr habt eine flinke Zunge, Delãny«, sagte er. »Und
Ihr seid entweder sehr mutig oder sehr dumm. Wir sind in der Überzahl.«
»Ich weiß«, antwortete Andrej ruhig.
»Was soll das Gerede, Vater? Lass uns diesen Heiden erschlagen
und…«
Andrej wandte sich um, und der Langhaarige verstummte mitten im
Wort, als ihn sein Blick traf. Abu Dun machte sich nicht einmal die
Mühe, sich zu ihm umzuwenden.
»Halt den Mund, Stanik«, seufzte der Grauhaarige. Er verdrehte die
Augen und fuhr, an Andrej gewandt, fort: »Verzeiht meinem Sohn,
Andrej. Er ist kein schlechter Kerl. Aber es sind schlimme Zeiten,
und Muselmanen…« Er hob die Schultern. »Ihr versteht?«
Es verging kein Tag, an dem Abu Dun und er nicht auf die eine oder andere - fast immer unangenehme -Art daran erinnert wurden.
Andrej schüttelte trotzdem den Kopf. »Nein«, sagte er.
Ganz wie du
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