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Die blutende Statue

Die blutende Statue

Titel: Die blutende Statue
Autoren: Pierre Bellemare
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Grenze zu gehen und sein großes Vorhaben von der anderen Seite der Pyrenäen aus weiterzuführen.
    Der Marquis kümmerte sich nämlich weiter um Port-Breton. Er war nicht unredlich. Nicht eine Sekunde lang dachte er daran, das angehäufte Geld, das sich mittlerweile auf mehrere Millionen Franc belief, für den persönlichen Bedarf auszugeben. Er wollte sein zivilisatorisches, ethisches Werk fortsetzen. Er glaubte felsenfest daran und alle gegen ihn angestrengten Gerichtsverfahren waren nur ruchlose politische Manöver der französischen Republik.
    Nachdem der Marquis mit seinem Freund und Anwalt du Gois, der ihm ins Exil gefolgt war, alles eingehend besprochen hatte, traf er plötzlich eine Entscheidung. »Du Gois, ich rüste ein zweites Schiff aus. Und wissen Sie, wie ich es nennen werde? Ganz einfach: Marquis de Rays. Ein herrliches Symbol, nicht wahr? Und für meine Untertanen ist das ein wichtiger moralischer Beistand.«
    »Aber was ist mit den Kolonisten, lieber Marquis? Wir haben keine mehr. Die sind alle in Frankreich geblieben.«
    »Ist doch egal, wir finden auch hier welche.« Tatsächlich fanden sich etwa hundert Spanier, die zugegebenermaßen nicht gerade zur Elite gehörten. Außerdem kaufte man für viel Geld Getreide, das angeblich speziell an heißes Klima angepasst war. So lief Ende 1880 die Marquis de Rays — nur das Schiff, der Marquis selbst blieb nämlich in Spanien — in Richtung Port-Breton aus.
    Damit wurde das Abenteuer zu einem Drama.
    In Port-Saïd begriffen die Spanier schließlich, in was für eine böse Sache man sie da hineinziehen wollte, und desertierten geschlossen. Der Kapitän, der sich zu helfen wusste, ersetzte sie auf der Stelle durch Araber. Alles ging dann gut bis Singapur, wo die Araber, die die Reise vielleicht ein bisschen lang fanden, ebenfalls durchbrannten. Daraufhin rekrutierte der Kapitän, der sich wirklich durch nichts entmutigen ließ, Chinesen. Da er bis Port-Breton keinen weiteren Hafen anlaufen wollte, war er sich sicher, wenigstens diese am Bestimmungsort abliefern zu können.
    Als der Kapitän vor der Küste Australiens angelangte, kam er plötzlich auf den Gedanken, die Frachtkisten zu öffnen. Danach brauchte er eine ganze Weile, um sich von seiner Verblüffung zu erholen. Was er da entdeckte, konnte nämlich den größten Phlegmatiker erschüttern. Statt des bestellten Getreides befanden sich in den Kisten, sorgfältig verpackt, nur Satinschühchen, Hundehalsbänder und kiloweise Stempelpapier!
    Der Lieferant, an den man sich gewandt hatte, hatte offenbar gewusst, dass der Marquis de Rays nicht Anzeige erstatten konnte.
    Man kann sich leicht vorstellen, wie unsere armen Kolonisten reagiert haben, als statt des lange erwarteten Marquis mit seinem wundersamen Getreide etwa hundert völlig verwirrte Chinesen ausstiegen, die ihnen nur Ballschuhe, Hundehalsbänder und Stempelpapier mitbrachten.
    Von da an löste sich alles auf. Es hieß: Rette sich, wer kann. Alle, die von den achtzig Freiwilligen und ihren Familien noch übrig waren, schifften sich auf der Stelle wieder ein. Leider sahen nur wenige Frankreich wieder. So endete der großartige Traum von einer absoluten Monarchie im Meer der Antipoden, regiert von einem Marquis aus altem bretonischen Adel.
    Blieb noch der Marquis selbst. Angeklagt wegen Betrugs, fahrlässiger Tötung und Verstößen gegen das Seerecht wurde er ausgewiesen und am 31. Januar 1883 vor Gericht gestellt.
    Bei der Verhandlung drängten sich natürlich die Neugierigen, die sich den Anblick dieses antiquierten Mannes nicht entgehen lassen wollten, der erbittert die Rechtmäßigkeit des republikanischen Gerichtshofes bestritt und seine Sache mit wortreichen Ansprachen verteidigte.
    Dazu wirkte der Marquis sehr stattlich mit seinem grau melierten Haar und dem Schnurrbart, seiner hochmütigen Haltung und dem stolz zur Schau gestellten Orden, den ihm die Regierung von Liberia für erwiesene Dienste an der Menschheit verliehen hatte. Sein Wortgefecht mit dem Staatsanwalt war höchst aufschlussreich.
    »Charles-Marie de Rays, insgesamt haben Sie Ihre Opfer um fünf Millionen Franc betrogen. Was haben Sie damit gemacht?«
    Der Marquis verschränkte die Arme und brüstete sich stolz: »In meiner Eigenschaft als absoluter Herrscher über eine freie Kolonie bin ich darüber keine Rechenschaft schuldig.«
    »Aber haben Sie auch an die vielen Menschen gedacht, die Sie ruiniert haben?«
    »Geld, das man auf diese Weise verliert, ist für den Himmel
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