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Die Blendende Klinge

Die Blendende Klinge

Titel: Die Blendende Klinge
Autoren: Brent Weeks
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schmeckte. Er öffnete die Augen und musterte den Mann, der vor ihm stand. Seine Lunge und seine Kehle fühlten sich von dem Meerwasser, das er geschluckt hatte, wund und rau an.
    »Kanonier, du Hurensohn«, sagte Gavin. Auch seine Stimme war rau. Er hatte nur undeutliche Erinnerungen an das, was letzte Nacht geschehen war. »Was machst du da?«
    »Kannst nicht wandeln, was?«
    Gavin hob hilflos seine leeren Hände. Das Licht unter Deck war so schwach, dass er einige Minuten benötigen würde, um genug wandeln zu können, um eine Bedrohung für irgendjemanden zu sein. Und so schlecht, wie er sich fühlte, würde es auch ein Problem sein, den dafür nötigen Willen aufzubringen.
    »Gib mir ein paar Minuten«, sagte er. Sein linkes Auge war geschwollen. Da war – oh, Orholam! Gavin prüfte seine Brust. Sie war unverletzt. Was für Alpträume hatte er da gehabt, zum Teufel noch mal? Hatte geglaubt, erdolcht worden zu sein? Hatte man ihn unter Drogen gesetzt und heimlich vom Flaggschiff geschmuggelt?
    »Deine Augen sind so blau wie die von Ceres, Lord Guile. Keine Spur von Halo darin. Ich habe die Luxlords, die sich so gern aufspielen, immer gehasst. Kommandieren die Leute herum. Nicht willens, ihren eigenen Beitrag zu leisten und sich mal selbst kräftig in die Riemen zu legen.« Er lachte leise, als hätte er etwas besonders Geistvolles gesagt. »Aber ich habe meine eigenen Lösungen für die kleinen Ungerechtigkeiten, die mir das Leben in meinen Zuständigkeitsbereich spült. Es ist nicht gerade das Staatsschiff, das ich hier lenke, aber es ist doch immerhin ein stattliches Schiff, nicht wahr?«
    »Ist das dein Schiff?«, fragte Gavin, noch immer desorientiert. Er saß auf einer Bank, und neben ihm hockte ein halbbekleideter magerer Mann mit weißem Haar und weißem Bart und leeren Augen. Alle Männer hier unten waren mager und nur halb bekleidet; alle tranken Wasser oder schlangen hastig Schiffszwieback in sich hinein. Alle trugen Ketten. Und alle sahen ihn an.
    »Ja, mein Schiff. Ich nenne es Bitterer Kolben , denn es wird dafür sorgen, dass du untenherum ganz wund wirst. Es gehört zu mir, und nun gehörst du zu ihm. Diene ihm gut, Guile. Denn wenn dieses alte Mädchen untergeht, wirst du mit ihm zusammen untergehen.«
    Das andere Ende seiner Ketten schloss sich um das Ruder.
    »Kanonier …«, sagte Gavin in warnendem Tonfall.
    » Kapitän Kanonier, Nummer sechs. Oder du bekommst die Peitsche zu schmecken.«
    »Bei Orholam, weißt du denn nicht, wer ich bin?« Es war fast zwei Jahrzehnte her, dass Kanonier für Gavin gearbeitet hatte. Vielleicht hatte die Zeit ihn so sehr verändert, dass ihn der Mann ohne seine prächtigen Kleider gar nicht erkannte.
    Kanonier grinste. »Wer fragt: Weißt du denn nicht, wer ich bin?, ist derjenige, der die Antwort nicht kennt. Aber jetzt sage ich dir was, Gavin Guile: Ich werde dir die Gelegenheit geben, es herauszufinden.«
    »Nicht Gavin«, sagte Gavin trotzig. »Dazen. Mein Name lautet Dazen Guile.«
    Kanonier öffnete die Tür, und Tageslicht strömte herein. »Hinter welchem Guile du dich versteckst, spielt für mich keine Rolle. Du bist Galeerensklave Nummer sechs. Dritte Reihe, mittlerer Sitz. Aber keine Angst, wenn du schön fest ruderst und immer bereitwillig gehorchst, darfst du in einem halben Jahr ganz vorne sitzen. Ist doch schön, Ziele zu haben, nicht wahr?« Er grinste breit. »Jungs?«
    Gavin schwieg. Er leistete keinen Widerstand, denn durch die offene Tür sah er etwas, das schlimmer war als Gefangenschaft. In der dämmrigen Halbnacht der stinkenden Kabine hatte er es nicht bemerkt – Farben werden durch Lichtmangel immer gedämpft. Aber durch die Öffnung der Tür, mit dem Himmel, den Vögeln und Segeln und dem reinen, mächtigen Licht da draußen, auf das Gavin gewartet hatte, um es aufzusaugen, seine Ketten aufzubrechen und zu fliehen, sah er nun etwas Schlimmeres. Er konnte aus diesem reinen weißen Licht keine Farben spalten. Er konnte die Farben nicht spalten, weil er die Farben nicht wandeln konnte. Und er konnte die Farben nicht wandeln, weil er die Farben nicht sehen konnte.
    Die Unwissenden sprechen von Subchromatie als Farbenblindheit, wo es sich doch in Wirklichkeit nur um eine Farbenverwechslung handelt.
    Aber Gavin war farbenblind. Die ganze Welt war grau geworden. Es war so, wie Kanonier ihm mitzuteilen versucht hatte. Plötzlich war ihm alles, was an ihm Besonderes gewesen war, genommen worden. Er war nicht nur nicht mehr das Prisma, er
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