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Die Blendende Klinge

Die Blendende Klinge

Titel: Die Blendende Klinge
Autoren: Brent Weeks
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Heiligkeit näher gewesen.
    Und dann begriff er, dass der Meeresdämon auf seine Flotte zuschwamm.

2
    Die grüne Hölle versuchte ihn in den Wahnsinn zu treiben. Der tote Mann war zurück in der spiegelnden Wand, leuchtend grinste er den Gefangenen an, die Züge skelettdünn verzogen von den gewölbten Mauern der runden grünen Zelle.
    Der Schlüssel bestand darin, nicht zu wandeln. Nach sechzehn Jahren, in denen er nur Blau gewandelt hatte, in denen jener verhasste azurne Gleichmut sein Bewusstsein verändert und seinen Körper beschädigt hatte, wollte er jetzt, da er der blauen Zelle entflohen war, nichts mehr, als sich an irgendeiner anderen Farbe zu laben. Es war, als habe er sechstausend Tage lang morgens, mittags und abends Haferschleim gegessen und jetzt biete ihm jemand eine Scheibe Schinken an.
    Nicht dass er Schinken überhaupt besonders gemocht hätte, damals, als er frei gewesen war. Jetzt klang allein das Wort schon wunderbar. Er fragte sich, ob es das Fieber war, was von seinen Gedanken nichts übrig ließ als Brei und Gemütsregungen.
    Komisch, welche Gestalt seine Gedanken annahmen: damals, als er frei gewesen war. Nicht: damals, als er das Prisma gewesen war.
    Er war sich nicht sicher, ob es daran lag, dass er sich immer noch einredete, dass er das Prisma sei, ob er nun königliche Gewänder trug oder stinkende Lumpen – oder ob es eben einfach keine Rolle mehr spielte.
    Der Gefangene versuchte, den Blick abzuwenden, aber alles war grün. Die Augen offen zu haben bedeutete, die Füße in Grün zu tauchen. Nein, mehr noch, er stand förmlich bis zum Hals im Wasser und versuchte, trocken zu werden. Da gab es keine Hoffnung auf Trockenheit. Er musste das wissen und es akzeptieren. Die einzige Frage, die zählte, war nicht, ob er sich die Haare nass machen würde, sondern, ob er ertrinken würde.
    Grün war ganz und gar Wildheit, Freiheit. Seine Logik, die in der Ordnungsliebe von Blau geschwelgt hatte, wusste, dass – in diesem Luxin-Käfig gefangen – das Einsaugen purer Wildheit zu Wahnsinn führen würde. Binnen Tagen würde er sich die eigene Kehle aufreißen. Pure Wildheit hier drinnen würde den Tod bedeuten. Er würde endlich selbst in die Tat umsetzen, was sein Bruder für ihn vorgesehen hatte.
    Er musste Geduld haben. Er musste nachdenken, und das Nachdenken fiel ihm im Augenblick schwer. Er untersuchte langsam und sorgfältig seinen Körper. Seine Hände und Knie waren aufgeschürft, weil er durch den Höllensteintunnel gekrochen war. Die Beulen und Prellungen, die von seinem Sturz durch die Falltür und in diese Zelle hinein herrührten, brauchte er nicht weiter zu beachten. Sie waren schmerzhaft, würden aber ohne Folgen bleiben. Am beunruhigendsten war die entzündete Schnittwunde quer über seiner Brust. Allein schon ihr Anblick verursachte ihm Übelkeit. Sickernder Eiter und das Versprechen baldigen Todes.
    Das Schlimmste war das Fieber, das seine zerstörerische Wirkung entfaltete, indem es ihn bis aufs Blut verdarb, ihn dumm und unvernünftig machte, seinen Willen untergrub.
    Aber er war dem blauen Gefängnis entflohen, und jenes Gefängnis hatte ihn verändert. Sein Bruder hatte diese Gefängnisse schnell gewandelt und wahrscheinlich seine meiste Energie in jenes erste, blaue gesteckt. Jedes Gefängnis hatte einen Fehler.
    Und das blaue Gefängnis hatte aus ihm den idealen Mann gemacht, diesen Fehler auch zu finden. Tod oder Freiheit.
    In seiner spiegelnden grünen Mauer sagte der tote Mann: »Willst du wetten?«

3
    Gavin zog Licht in sich hinein, um mit dem Bau seiner Ruderapparatur zu beginnen. Ohne nachzudenken, versuchte er Blau zu wandeln. Obwohl es zerbrechlich war, machte seine feste, glatte, kaum Haftung bietende Beschaffenheit Blau für solche Bauteile ideal, die keinen seitlich wirkenden Kräften ausgesetzt waren. Einen vergeudeten Augenblick lang versuchte Gavin erneut, es zu erzwingen. Er war ein fleischgewordenes Prisma; als einziger von allen Wandlern konnte er Licht in seine Bestandteile aufspalten. Das Blau war darin vorhanden – er wusste, dass es da war, und vielleicht würde das Wissen, dass es da war, obwohl er es nicht sehen konnte, ja ausreichen.
    Bei Orholam, man fand ja auch mitten in der Nacht seinen Nachttopf – obwohl man ihn nicht sieht, ist er gleichwohl da. Warum konnte das in diesem Fall nicht ganz genauso sein?
    Nichts. Keine überwältigend harmonische Logik, keine kühle Rationalität, keine blau verfärbte Haut, überhaupt kein Wandeln.
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