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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin
Autoren: Astrid Fritz
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machen.»
    Das dunkelhaarige Mädchen, das Sophie hieß und kaum älter wirkte als Theres, führte sie zu einem der Doppelstockbetten.
    «Heut Nacht kannst mit unter meiner Decke schlafen. Aber morgen holst dir selber eine.»
    Theres nickte, dann drehte sie sich zu Rosina um: «Und wie lang soll das gehen?», fragte sie leise. «Als deine Dienerin, mein ich?»
    «Sabberlodd, was bist du dumm! Natürlich, bis die nächste Neue kommt.»
    Alle brachen in schallendes Gelächter aus.
    In diesem Moment steckte jemand den Kopf zur Tür herein und brüllte: «Ruhe jetzt, zum Donnerwetter!»
    Die Mädchen sprangen in ihre Betten, und augenblicklich herrschte Totenstille. Mit klopfendem Herzen drehte sich Theres zur Wand. Sie würde hier nicht bleiben, niemals. Dann doch lieber irgendwo im Wald wohnen und vom Bettel leben.
    «Keine Angst, das wird schon alles», hörte sie neben sich Sophie flüstern. «Die Rosina ist gar nicht so schlimm.»
     
    Am nächsten Morgen in aller Frühe weckte sie der Lärm schlagender Topfdeckel.
    «Los, aufstellen!», rief eine Frauenstimme von der Tür her. «Eins, zwei – drei!»
    Bei drei standen tatsächlich alle Mädchen vor ihren Betten stramm und riefen: «Guten Morgen, Frau Wagner!» Theres, die erst spät in der Nacht in den Schlaf gefunden hatte, rieb sich die Augen. Gut zwei Dutzend Kinder zählte sie, alle in denselben hellgrauen, bodenlangen Nachthemden und dunkelgrauen Filzpantoffeln. Mit halblauter Stimme begannen sie ein Morgengebet herunterzuleiern, das Theres nicht kannte. Während sie zum Schein die Lippen bewegte, entdeckte sie zu ihrem Schrecken, dass die Fenster, durch die das fahle Morgenlicht drang, wahrhaftig vergittert waren! Im Geiste sah sie bereits die Aufseher mit Lederpeitschen vor sich, die sie gleich zur Arbeit antreiben würden.
    «Was geschieht als Nächstes?», fragte sie Sophie leise, während sie in Zweierreihen der hageren Frau mit dem grauen Dutt folgten.
    «Waschen, Beten, Essen, Schule – wie immer. Ach nein, heut ist ja Freitag. Da ist vorher Kirchgang statt Gebetsstunde.»
    «Kirchgang?»
    «Halt die Morgenpredigt in Sankt Martin. Immer dienstags und freitags, dazu am monatlichen Bußtag und am Geburtstag unseres Königs. Ist das bei dir daheim nicht so?»
    Theres schüttelte den Kopf. «Ich durft nur sonntags und an den Feiertagen in die Kirche.»
    «Wirst sehn: Das ist das Beste hier. Da kannst nämlich noch eine halbe Stunde weiterschlafen.»
    Inzwischen hatten sie den Waschraum erreicht. Jetzt erst bemerkte Theres, dass hinter ihnen eine Horde Buben marschiert war und in dem Waschraum gegenüber verschwand. Einer von ihnen, ein hochgeschossener, schwarzhaariger Kerl mit dunklen Augenringen im bleichen Gesicht, drehte sich im Türrahmen um und streckte ihr die Zunge heraus.
    «He, Theres!» Im Waschraum stand die Magd vom Vorabendund winkte sie heran. «Hier dein Rock, Mieder, Hemd, Wäsche und Strümpfe. Das sollte passen, denk ich. Wenn nicht, kommst heut Nachmittag zu mir.» Sie legte die Sachen auf ein Holzregal, an dem eine lange Reihe von Namensschildern angebracht war. «Das ist der Platz für die Nachthemden und Handtücher. Für die Kleidung habt ihr Truhen im Schlafsaal. Du teilst dir eine mit Sophie – dein Lumpenbündel hab ich da schon reingetan. Übrigens kontrollier ich ab und an, ob alles ordentlich zusammengefaltet ist. Verstanden?»
    Theres nickte.
    «Ein Namensschild für Truhe und Ablage bekommst du morgen. Du kannst doch hoffentlich lesen?»
    Das Gesicht der Hausmagd wirkte jetzt älter als am Vorabend und um einiges strenger.
    «Ja.»
    Das war schlichtweg gelogen, doch ihren Namenszug erkannte Theres immerhin.
    «Gut. Ich bin übrigens Fräulein Susanna. Waschlappen und Handtuch gibt es jeden Samstag neu, alle vierzehn Tag dürft ihr warm baden, unten im Keller. Und jetzt geh dich waschen.»
    Theres quetschte sich neben ihre Bettgenossin an den langgestreckten Holztisch, auf dem die Waschschüsseln aufgereiht standen. Kaum hatte sie die Hände in das eiskalte Wasser getaucht, packte sie jemand am Nacken und drückte ihr das Gesicht unter Wasser. Theres prustete und zappelte und schlug mit aller Kraft um sich, bis sie endlich freikam. Verzweifelt schnappte sie nach Luft und sah sich nach der Hausmagd um. Doch die war spurlos verschwunden.
    «Das war deine Taufe.» Rosina stand hinter ihr und grinste mit den andern um die Wette. «Und jetzt wasch mir mein Gesicht.»
    Theres nahm den nassen Lappen, den Rosina ihr unter die Nase
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