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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin
Autoren: Astrid Fritz
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wollte, gaben ihre Beine unter ihr nach, und sie sank zu Boden.
    «Ist das Kind krank?», fragte der Krämer erschrocken. «Ich sag’s Ihnen offen: Wenn die krank ist, nehm ich euch nicht weiter mit.»
    «Ja, Heidenei und Kruzifix!» Umständlich stieg der Büttelvom Kutschbock und half Theres wieder auf die Beine. «Jetzet reiß dich aber z’samme!»
    «Ich will heim nach Eglingen», flüsterte sie.
    «Spinnst völlig? Der alte Stickl tät dir die Tür vor der Nas zuschlagen. Hast net verstanden? Der will dich nimmer.»
    «Soll ich Ihnen was sagen?» Der Krämer, ein hagerer Mann mit grauem Bart und Halbglatze, füllte seine Wasserflasche mit Brunnenwasser auf. «Das Kind hat Hunger. Dem sein Magen knurrt ja lauter, als mein Maultier wiehern kann. Geben Sie ihm denn nichts zu essen?»
    Hufnagl zuckte die Schultern. «Der Bauer hätt ihr halt was Rechtes mitgeben müssen. Ich hab selber net genug.»
    Kopfschüttelnd trat der Krämer an seinen Karren, öffnete eine Kiste und zog einen Kreuzerwecken und ein Stück Schwarzwurst heraus.
    «Da, nimm!»
    Theres stammelte ein «Vergelt’s Gott!» und mehrfaches Danke.
    «Schon recht! Füll dein Wasser auf, damit wir rasch weiterkönnen. Ich will vor dem Regen in Ravensburg ankommen.»
    Viel zu schnell hatte Theres ihre Brotzeit hinuntergeschlungen und war doch noch immer nicht satt. Aber Schwindel und Magenknurren waren wenigstens verschwunden, und sie fühlte sich wieder bei Kräften. Einen kurzen Augenblick dachte sie daran, jetzt, wo sie fast am Ziel ihrer Reise war, vom Wagen zu springen und davonzulaufen. Sich irgendwo zu verstecken, bis der Büttel nicht mehr nach ihr suchte. Aber dann verwarf sie den Gedanken wieder. Wohin sollte sie schon gehen? Wie sollte sie zu ihrem Essen kommen, wo übernachten? Ihr fiel ein, dass sie ja Angst hatte, allein in der Dunkelheit. Und außerdem würde es bald regnen, vielleicht gar gewittern.
    Sie wandte den Kopf. Von Westen, von der Alb her, wurdedas Dunkel immer bedrohlicher, und sie vernahm fernes Donnergrollen. Bei Sonnenschein hätte diese Landschaft um sie herum mit ihren weiten, saftigen Wiesen und den Seen und Weihern, die bald hinter jeder Baumgruppe auftauchten, bestimmt etwas Malerisches gehabt. Nun aber lag das Gras fast flach im böigen Wind, von graugrüner Farbe war es plötzlich, während die Waldstücke immer dunkler wurden und die Seen schwarz glänzten.
    Da hörte sie ein Rauschen über sich. So tief, dass sie ihn fast hätte berühren können, zog ein Storch über sie hinweg. Sie wusste sofort: Es war derselbe, den sie am Morgen bei ihrer Abfahrt beobachtet hatte. Derselbe Storch, der droben auf dem Riedlinger Rathausdach die Flügel gespreizt und sich, als der Kaufmann seinen Rössern die Zügel auf den Rücken klatschte, in die Luft geschwungen hatte. Gerade so, als wolle er sich ebenfalls auf die Reise machen, hatte Theres da gedacht und sich trotz ihrer elenden Lage gefreut. Störche brachten nämlich Glück.
    Jetzt war sie sich sicher, dass der riesige Vogel sie tatsächlich begleitet und beschützt hatte auf ihrer Reise nach Weingarten, denn als sie ihm nachschaute, hörte sie den Krämer sagen: «Wir sind bald da.»
    Sie befanden sich am Rande einer Hochfläche, die hier jäh zu einem breiten Tal hin abfiel, und der Krämer deutete mit ausgetrecktem Arm auf die andere Seite, wo über einer bewaldeten Bergkette die blaugrauen Zacken der Alpen zu erkennen waren. «Heut ist Föhn, da ist weite Sicht. Seht ihr? Da drüben liegt Altdorf mit dem vormaligen Kloster Weingarten. Das war mal weitberühmt, wegen der Kirche und dem Heilig Blut. Jetzt verfällt’s und steht halb leer, bis auf den Teil mit dem Waisenhaus.»
    Wie ein Fingerzeig schob sich in diesem Moment ein Strahlenbündelder Nachmittagssonne durch die Wolken und ließ Mauern, Kuppel und die beiden Türme der mächtigen Klosteranlage golden schimmern. Vielleicht ist das ein Zeichen, vielleicht wird alles doch nicht so schlimm, dachte Theres, während der Storch noch eine Runde über ihren Köpfen drehte, als wolle er sich verabschieden, und dann in Richtung Tal hinuntersegelte.
    Vor ihrem inneren Auge sah sie das sommersprossige Gesicht ihres Bruders mit dem ewig zerzausten Haar in der Stirn. «Im Sommer komm ich dich besuchen», hörte sie ihn sagen. «Das schwör ich bei Gott und allen Heiligen.»
     
    Eine halbe Stunde später hatten sie die gefährlich steile Steige hinter sich gebracht. Am Rande eines kleinen Dorfes zügelte der Krämer sein
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