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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin
Autoren: Astrid Fritz
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andres zu tun.»
    Hastig sprang Theres auf, noch immer verwirrt von dem, was sie eben vernommen hatte. Da hörte sie schon die schlurfenden Schritte ihres Pflegevaters, und das Türchen zu ihrem Verschlag öffnete sich.
    «Komm raus!», befahl der alte Bauer. «Der Herr Stadtrat will dich sehn. – Und sag ja nix Falsches», setzte er leise hinzu.
    Theres ging mit gesenktem Kopf hinüber in den Wohnraum, gab dem Gast die Hand und machte einen artigen Knicks.
    «Du weißt, warum ich hier bin?» Die Stimme des Mannes klang freundlich.
    «Nein, Herr.»
    Der Stadtrat warf Nepomuk Stickl einen missbilligenden Blick zu und fuhr fort: «Dein Pflegevater kann sich nicht mehr angemessen um dich kümmern, jetzt, wo die Bäuerin tot ist. Du sollst ins Staatswaisenhaus zu Weingarten gebracht werden, in die Vagantenkinderanstalt. Da lernst du alles, was du fürs spätere Leben brauchst. Mach also unserem Staat und unserem König keine Schande, hörst du?»
    Sie nickte, während sie am ganzen Leib zu zittern begann. Sie hatte es geahnt, der Bauer wollte sie weggeben! Dann packte sie der nächste Schrecken: Von ihrem Bruder war mit keinem Wort die Rede gewesen.
    «Was   … Was ist mit Hannes?» Die Tränen schossen ihr in die Augen.
    «Der Hannes bleibt hier», schnauzte Nepomuk Stickl.
    Beruhigend strich der Stadtrat ihr übers Haar.
    «Es ist zu deinem Besten, mein Kind.» Er wandte sich wieder an ihren Pflegevater. «Machen wir also Nägel mit Köpfen, Stickl. Unterschreib jetzt, dass du die Fürsorge für den Pflegling Theres Ludwig, Tochter der Landfahrerin Maria Bronner ausEglingen und des Taglöhners Jakob Ludwig aus Ravensburg, zum heutigen Tage aufkündigst. Hier, an dieser Stelle.»
    Mit einem verlegenen Räuspern setzte der Bauer drei Kreuze an die bezeichnete Stelle. Dann fragte er:
    «Und wie kommt die Theres hernach ins Waisenhaus?»
    «Ich schick auf morgen früh einen Stadtbüttel. Gib dem Kind ausreichend Essen und Trinken mit, es ist ein weiter Weg.»
    Damit schien für den Mann alles besprochen. Er wandte sich zur Tür, nahm Zylinder und Stöckchen vom Haken und trat hinaus. Theres sah ihm nach, wie er unbeholfen zwischen den Pfützen hindurch in Richtung Straße stakte, wo sein Einspänner auf ihn wartete.
    «Was glotzt du so?», fragte ihr Pflegevater. «Hast net gehört, dass es zu deinem Besten ist? Auf jetzt, versorg die Hühner und dann ab in die Küche.»
    Doch Theres achtete nicht auf seine Worte. Kaum war die Kutsche um die nächste Wegbiegung verschwunden, rannte sie los.
    «Bleibst wohl hier, du Saubangerd!», hörte sie den Bauern noch brüllen, da war sie schon die Böschung hinaufgeklettert, mitten hinein in das dunkle Tannenwäldchen, das an ihren Hof grenzte. Keine Viertelstunde später erreichte sie die sonnenbeschienene Wacholderheide, wo ihr Bruder dieser Tage die Schafe des Dorfes hütete.
    «Hannes!», keuchte sie. «Ich soll fort!»
    Schwer atmend lehnte sie sich neben ihn an das warme Felsgestein. Ihr Bruder starrte zu Boden und schwieg.
    Theres wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. «Warum sagst du nichts?»
    Hannes schüttelte den Kopf.
    «Sag bloß   … Sag bloß, du hast es gewusst!»
    «Seit gestern», murmelte er so leise, dass sie ihn kaum verstand. «Hab mich nicht getraut, es dir zu sagen.»
    «Aber warum soll ich fort und du nicht? Warum dürfen wir nicht zusammenbleiben?»
    «Ich weiß es nicht.»
    Jetzt erst merkte Theres, dass auch ihr Bruder weinte. Hinter einem Schleier von Tränen schweifte ihr Blick über die sanften Hügel mit ihren hellen und dunklen Waldstücken, den Schafweiden und Wacholderheiden. Wie vertraut ihr dieses Bild war, wie schön das alles aussah, so im warmen Licht der Maisonne! Sie kannte nichts andres, ihr Lebtag war sie nie weiter als bis in die nächsten Dörfer gekommen, nicht mal bis in die nahe Oberamtsstadt Münsingen.
    Sie schloss die Augen und erblickte plötzlich einen riesigen, düsteren Saal mit vergitterten Fenstern rundum, sich selbst inmitten einer Horde verwahrloster Kinder von Landstreichern. Ein Aufseher durchmaß mit energischem Schritt die Reihen und verteilte Karbatschenhiebe nach rechts und links.
    Erschrocken riss sie die Augen wieder auf.
    «Ich hab Angst», stammelte sie.
    «Das musst du nicht, Theres. Ich komm dich besuchen.» Hannes nahm ihre Hand und drückte sie fest.
    «Weißt du denn, wo dieses – dieses Weingarten liegt?»
    «Nein. Trotzdem.»
     
    Am nächsten Tag erschien gleich nach dem Morgenessen der Büttel,
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