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Die Bettelprophetin

Die Bettelprophetin

Titel: Die Bettelprophetin
Autoren: Astrid Fritz
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Seichhafen!», hatte der Mann sie irgendwann angeschnauzt. «Kei Sau wird uns da mitnehmen wollen.»
    Da waren Theres die mühsam unterdrückten Tränen wieder über die Wangen geflossen. Was konnte sie dafür, dass sie nicht mal ein sauberes Sonntagsgewand besaß und nur alle zwei Wochen in den Waschbottich steigen durfte – als Letzte wohlweislich, wenn das Wasser schon kalt und schlierig vom Dreck der andern war?
    Doch entgegen Hufnagls Befürchtung ließ sie alsbald ein Fuhrmann auf die halbleere Ladefläche seines Wagens aufsteigen, wo ihr Bewacher so weit wie möglich von ihr abrückte und sein Vesperpaket auspackte. Theres musste mit ansehen, wie er sich Wurststück um Wurststück in den Mund stopfte. Sie selbst hatte nur Wasser und Brot dabei.
    Der Büttel kniff die Augen zusammen. «Was glotzt? Hat dir der Bauer nix eingepackt?»
    «Doch, doch. Aber ich heb’s mir auf, für später.»
    Hufnagl nickte nur, und Theres überließ sich wieder ihrem Abschiedsschmerz und dem heftigen Gerüttel des Wagens auf der löchrigen Straße. Bis hierher hatte die Landschaft nicht viel anders ausgesehen als daheim. Jetzt aber begann sich die Straße in engen Krümmungen durch dichten dunklen Tannwald steil bergab zu winden, bis der Blick wieder frei wurde aufeine lichte Hügellandschaft, die sich im Dunst des weit ausladenden Donautals verlor. Theres wusste: Nun war sie in der Fremde angelangt. Brotbeutel und Trinkflasche waren leer, ihre Tränen versiegt, keine zehn Worte hatte Hufnagl bislang an sie gerichtet. Sie tastete in ihrer Schürzentasche nach dem Holzpferdchen, das Hannes ihr einst geschnitzt hatte und das schon ganz abgegriffen und speckig war, und fühlte sich so verlassen wie noch nie.
    In der Oberamtsstadt Riedlingen am Donauufer nahmen sie ihr Nachtquartier. In Theres’ Augen wirkte die Stadt mit den hübschen Fachwerkhäusern riesig, gewiss hundertmal so groß wie ihr Heimatdorf. Und wie laut und voller Menschen dieses Riedlingen war: Allein auf dem Marktplatz drängte sich mehr Volk als bei ihnen im Dorf zur Kirchweih! Spielende Kinder tobten zwischen Fuhrwerken und Handkarren herum, Trödler boten den Inhalt ihrer Bauchläden feil und schrien dabei mit den Karrenbäckern und Zeitungsjungen um die Wette, aus den offenen Fenstern und Hoftoren drangen Gehämmer und Geklopfe. Niemals würde sie in solch einem Trubel wohnen können. Umso verwunderter war sie, als sie auf dem Dachfirst des Rathauses das schwarzweiße Federkleid eines Storchenpaars entdeckte, das hier seine Jungen aufzog.
    Nachdem der Büttel sie beide bei der Ortspolizei angemeldet hatte, wies man sie in ein kleines Wirtshaus nicht weit vom Markt ein. Dort bestellte Hufnagl ihr einen Teller Erdäpfel in Milchsuppe, sich selbst vergönnte er eine Platte mit knusprig gebratenem Schinkenspeck. Derweil schleppte der Wirt zwei Strohsäcke ins Nebenzimmer.
    «Wenn’s Wetter hält», der Büttel wischte sich den Bierschaum vom Mund, «bist morgen Abend im Waisenhaus.»
    Theres erwiderte nichts, nur die Hand, mit der sie den Löffel hielt, begann zu zittern. Sie vermochte kaum, ihren Teller leerzu essen – allein das Wort «Waisenhaus» hatte ihr die Kehle zugeschnürt.
    «Ich bin müde», flüsterte sie schließlich.
    «Geh halt schlafen.» Hufnagl gab dem Wirt ein Zeichen, ihm den Bierkrug nachzufüllen. «Und weh dir, du machst Ärger.»
    Als sich Theres auf ihrem schmalen Lager ausstreckte, hörte sie den Wirt nebenan fragen: «Was ist das für ein Balg, das Sie da mitschleppen?»
    «Ein Vagantenkind. Soll nach Weingarten.»
    «Ja, ja.» Der Wirt seufzte. «Die vermehren sich wie die Ratten, diese Landstreicher. Man sollt sie alle einsperren.»
     
    Sie hatten Glück: Am nächsten Morgen nahm ein Tuchhändler sie bis in die nächste große Stadt namens Saulgau mit, wo sie ihre Wasserflaschen auffüllten und ihnen die Ortspolizei eine weitere Fahrgelegenheit auf einem Krämerkarren verschaffte. Theres hatte in der vergangenen Nacht kaum geschlafen, so oft hatte sie weinen müssen. Jetzt, am Nachmittag, begann sie der Hunger zu quälen. Bis auf einen Napf Hafergrütze in der Frühe hatte sie noch nichts gegessen, und sie wagte es nicht, den Büttel um ein Stück Wurst oder Brot zu bitten. Außerdem war ihr kalt. Ihre dünne Jacke schützte sie kaum vor dem kühlen Wind, der inzwischen aufgekommen war und über ihnen dunkelgraue Gewitterwolken zusammenschob.
    Als sie schließlich bei einem Dorfbrunnen Halt einlegten und Theres vom Karren klettern
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