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Die Betrogenen

Die Betrogenen

Titel: Die Betrogenen
Autoren: Michael Maar
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beherzt, die Begleitung so mütterlich milde und melancholisch – Karl solle ehrlich sagen, ob es Schöneres gäbe in der Kunst? Für jeden Menschen, der etwas mehr Seele als eine Auster hatte.
    Wieder eine Frage, die keine Antwort erforderte. Bittner stieß den Rauch aus der Nase.
    «Und in dieser Zeit hat man gerädert!»
    Aber – Bittner mußte den Kopf über sich selber schütteln. Daß er doch das Wichtigste nicht vergesse! War denn Karl überhaupt mit seinem Manuskript fertig? Ach so, es gab sogar schon Fahnen! Dann hatte er natürlich auch einen Titel?
    Als Karl ihn nannte, wiegte Bittner prüfend den Kopf hin und her und spitzte wieder leicht die Lippen. «Doch, das hat Reiz, eine gewisse Anmutung, da kann ich nur gratulieren! Ihre Mutter wäre stolz auf Sie, das wissen Sie hoffentlich, mein Freund.» Er drückte Karl etwas länger die Schulter. Wie nah ihr Bittner eigentlich gekommen war, hatte Karl nie erfahren; er war damals zu jung, um sich für die Geheimnisse der Erwachsenen zu interessieren oder auch nur zu wissen, daß es sie gab. Trostbedürftig würde sie als Witwe gewesen sein, obwohl sie ihr einziges Kind mit ihrem Kummer möglichst verschonte.
    Das Licht fiel in schrägen Büscheln durch das Blättergewölbe der Buchenallee. Es war wärmer geworden; der robuste Geruch der Bärlauchmatten lag in der Luft. Die Mücken gingen ihren stochastischen Geschäften nach. Karl sah zu den Klatschmohnpartien, die sich in der Ferne auf einem Hügel abzeichneten. Fast trat er in einen Kotklumpen, der wie eine vertrocknete Kröte aussah.
    In die Stille hinein fragte Bittner: Da sie bei ihren literarischen Siebensachen waren, hatte der Verlag Karl überhaupt sein jüngstes Büchlein zugeschickt? Der Lektor mit dem Judas-Apostroph hatte es übrigens nicht mehr in die Finger bekommen, der war ja gegangen oder gegangen worden, da hatte er dann doch eine Drehung zu viel intrigiert und in Gabriels Tochter seine Meisterin gefunden, und eben nicht mehr die Maitresse.
    Bittner lachte hüstelnd.
    Das war der andere Moment, den Karl befürchtet hatte. Er hatte den Band nicht nur bekommen, sondern noch am selben Tag gelesen. Es war, wie er es schon länger geahnt hatte: Bittner bemerkte seine Marotten nicht mehr, wie ein alter Schauspieler, der keinen Regisseur mehr hatte oder keinen mehr ernst nahm. Immer die linke Hand in den Rücken gepreßt; immer dieselben Stilfiguren, immer dieselben Geschraubtheiten. Immer dieselben Andeutungen, er, Arthur Bittner, habe der Sphinx tief ins Auge geblickt und die Weltenrätsel gelöst, Andeutungen, denen nie etwas Faßbares folgte. Und dann die manirierte Interpunktion!
    Aber Karl würde den Teufel tun und Tadel andeuten. Er kannte die Künstler, er hatte es oft genug erlebt; das Sandkorn Kritik wog ihnen mehr als ganze Perlenschalen des Lobs. Keine Kritik von Verehrerseite – das war der stillschweigend geschlossene Pakt zwischen Bittner und ihm,und Pakte brach man nicht über Nacht. Künstler waren alle gleich, dachte Karl, als er Bittners Schrift über
Così fan tutte
jetzt in warmen Worten rühmte.
    «Sie bringen mich in Verlegenheit», bedankte sich Bittner ganz unverlegen und strahlenden Auges.
    Wie war das mit der Wahrheit? War sie ein hochprozentiges Medium, das man verdünnen durfte, und war Takt nur der richtige Verdünnungsgrad? Schließlich würde man selbst nicht gerne nur Wahrheiten hören. Schon bei der Vorstellung mußte Karl sich schütteln. Allein die Charakterschwächen, die man serviert bekäme, oder bei Ehekrächen tatsächlich manchmal serviert bekam. Diese Schwächen, man kannte sie ja, sie wehten einen gelegentlich an wie Schwaden aus dem Gulli nach einem Regenguß. Aber das waren sie nicht, sie waren wie schlechter Atem, den jeder bemerkte, außer man selbst. Und dann die schrecklichen kleinen Angewohnheiten und Tics … nein, gar nicht erst die Büchse öffnen. Einen oder zwei hatte er sogar von Bittner übernommen, wie das nervöse Kneten des Handtellers mit den Fingerspitzen; aber das hatte auch schon Karls Mutter gemacht.
    Sie gingen an einer Zeile zurückgesetzt liegender Gartenhäuser vorbei, dahinter mußte eine Pferdekoppel sein; Karl hörte es schnauben und wiehern. Aus einem geöffneten Fenster drangen Fetzen des Kaiserwalzers. Ein junger Mann mit einem schluchzenden kleinen Mädchen an derHand schrie eine ältere Frau an, sie solle gefälligst ihren Köter an die Leine nehmen.
    Bittner, sichtlich erwärmt, obwohl er offiziell auf Lob nichts gab,
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