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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition)
Autoren: Anna Enquist
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er Muskelkater haben und zufrieden sein über die Fortschritte bei der Abschirmung seines Reviers. Dann wird er den Alkohol wirklich verdient haben.
    Es ist schon ein Haufen Arbeit, denkt er, das kostet viel Zeit. Die Hölzer werden im Regen vergammeln. Ich muss sie abdecken. Plane. Leiter. Regenkleidung. Ich muss aktiv werden. Jetzt.
    Die Tenne ist eine dunkle Kathedrale. Hoch oben an der Decke hängt eine schwache Lampe. Der Raum steht voller Möbel aus Driks Haus – die von Roos ausgesuchten Bücherregale, der neue Therapeutensessel, Betten, Kartons mit Geschirr. Dahinter befinden sich Sachen, die der vorherige Eigentümer zurückgelassen hat: Eimer, ein Rasenmäher, eine Schubkarre. Drik gibt seinen Augen Zeit, sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Hier muss irgendwo Abdeckplane sein, denkt er, aus glänzendem schwarzem Plastik, wie jeder Bauer sie verwendet. Von einem Nagel an der Wand nimmt er eine Taschenlampe, die unerwartet viel Licht gibt. Er fährt mit dem Lichtstrahl über die hohen Gerüste an der hinteren Wand und stößt auf eine dunkle Masse, die er auf einer Leiter stehend gerade eben erreichen kann. Mit viel Geruckel und Gezerre gelingt es ihm, den Packen auf den Boden hinunterzubefördern. Während er wieder von der Leiter steigt, murmelt er Aufmunterndes in sich hinein. Regenmantel an, die mächtigen Türen der Tenne aufgestemmt, die Plane nach draußen gezogen. Der Regen sticht ihm eiskalt ins Gesicht. Er zerrt seine Beute zu dem Holzhaufen, der im Licht, das aus dem Küchenfenster fällt, aufleuchtet.
    Mit dem Wind arbeiten, denkt er, dann weht die Plane von ganz allein über den Stapel. Keine Kraft vergeuden, umsichtig zu Werke gehen. Am Fuß beschweren, eine Verankerung ist notwendig. Steine. Sind hier Steine? Am Waldrand? Er trottet dorthin, die Steine, die er findet, sind zu schwer für ihn, er tritt in eine Pfütze, und das Wasser spritzt hoch auf. Erst einmal die Plane auseinanderfalten. Er kämpft mit dem Wind. Die Plane klatscht ihm ins Gesicht, er erschrickt über die plötzliche Blindheit und fällt gegen die Hölzer.
    Pfähle, ich kann das Ganze mit Pfählen verankern, das ist die Lösung. Er zerrt einen Pfahl vom Stapel, noch einen. Sie sind schwerer, als er gedacht hätte, und sperrig. Er lässt sie auf den Rand der Plane fallen und bleibt mit dem schwarzen Plastik in den Armen stehen. Vergeblich versucht er es über den Haufen zu werfen, zuerst aus dem Stand, dann hochspringend. Fluchend steigt er ein Stück den Berg aus Holzpfählen hinauf und zieht das unwillige Plastik mit. Der Wind brüllt in seinen Ohren. Sein Fuß verkeilt sich zwischen den Hölzern, er hat kurz eine Vision von seinem Bein, wie es in einem Streckverband aufgehängt ist, mit Nagel im Knie, dann lässt er sich fallen und landet am Fuße des Stapels. Über ihm schlägt und knattert die Plastikplane im Sturm.
    Er drückt das Gesicht an das Holz. Ein chemischer Geruch. Imprägniert, denkt er, gegen Wind und Wasser unempfindlich gemacht, nachher stehen die Pfähle ungeschützt im Freien, ich mache mir unnütze Sorgen. Schon wieder etwas, was ich nicht kann. Auf den Wangen fühlt er deutlich den Unterschied zwischen den eisigen Regentropfen und seinen heißen Tränen.
    »Jetzt iss doch mal was«, sagt Simone. »Oder schmeckt es dir nicht? Du wirst immer dünner, das ist nicht gut.«
    Sie sitzen in ihrem vertrauten Restaurant neben dem Hummerbecken. Suzan stochert zerstreut in ihrem Seebarsch und schafft es nicht, die Gabel an den Mund zu führen.
    »Du hast mir nie erzählt, wie eigentlich der Abschied war«, sagt sie. »Von Allard, meine ich.«
    »Berend ist zur Beerdigung gegangen«, antwortet Simone. »Allard hatte in der Woche davor gerade in der Schmerzambulanz angefangen, deshalb fühlte er sich dazu verpflichtet. Es waren viele Assistenzärzte da, sagte er. Hettie und Jeroen. Winston und, wie heißt sie noch, Birgit. Von uns Anästhesisten waren nicht so viele da. Vereycken hat sich von Taselaar vertreten lassen. Aber Livia war da, sie hatte in unser aller Namen einen potthässlichen Kranz bestellt. Aus dem Topf für Liebe und Leid. Berend fand es ergreifend, vor allem die Musik von Mitgliedern des Orchesters, in dem Allard spielte.«
    »Hat irgendeiner von uns noch etwas gesagt?«
    »Luc hat eine Ansprache gehalten. Darüber, dass Allard seine Arbeit so geliebt habe. Und über die Gefahren. Berend fand sie ziemlich düster, so als ob zwangsläufig alle paar Jahre mal ein Anästhesist an seinem Beruf
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