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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition)
Autoren: Anna Enquist
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Er wurde schon kalt.«
    »Unnatürlicher Tod. Das bedeutet, dass wir ihn hier lassen müssen, bis der Leichenbeschauer kommt. Und die Polizei. Der Raum muss verschlossen werden. Das Ganze muss gemeldet werden. Wird ein ziemliches Theater geben. Das soll Vereycken in die Hand nehmen. Wo bleibt er denn?«
    Luc murmelt etwas vor sich hin, ohne Kees anzusehen.
    »Intoxikation. Muss man untersuchen. Ein gesunder junger Mann stirbt nicht so einfach. Keine sichtbare Verletzung.«
    Kees führt die Möglichkeiten an: Embolie, gesprungenes Aneurysma, fatale Herzrhythmusstörung. Während die Männer diverse Todesursachen durchgehen, schiebt sich Vereycken in den Raum. Suzan macht ihm Platz. Er sieht es sich an.
    »Ach, Junge«, sagt er. »Musste das sein, war es so schlimm?«
    Suzan stößt ihn an und zeigt auf Allards Fuß. Die Socke ist ein Stück heruntergestreift. Unterhalb vom Spann ist ein fleischfarbener Verband erkennbar. Vereycken geht in die Hocke und zieht die Socke weiter hinunter. Suzan sieht die Kanüle. Fein säuberlich mit einem grünen Plastikstöpsel verschlossen. Ächzend bückt sich Vereycken noch tiefer und hebt einen Gegenstand auf, der unter den Stuhl gerollt war. Eine Ampulle. Fentanyl.
    Klar und ruhig entsinnt sich Suzan der Patienten, die trotz der gespritzten Opiate einen erhöhten Blutdruck und eine beunruhigende Herzfrequenz behielten. Und zwar immer bei den Operationen, bei denen Allard die Spritzen aufgezogen hatte. Halbe Dosierung, denkt sie, und der Rest verschwand in seiner Hosentasche. Während der Nachtdienste, für die er in letzter Zeit eine solche Vorliebe hatte, konnte er mitnehmen, was er wollte. Er trug diese komischen dicken Socken. Er magerte ab. Er war unruhig. Oder viel zu ruhig. Ich bin blind gewesen. Ich habe alles gesehen und nichts begriffen. Und jetzt ist es vorbei.
    Eine unermessliche Müdigkeit befällt sie. Sie kann sich nicht mehr auf den Beinen halten und rutscht mit dem Rücken an der Wand auf den Boden hinunter.
    Die drei Männer laufen hin und her und durchsuchen den Raum nach weiteren aufschlussreichen Hinweisen. Sie reden von Schock, Überdosis, Atemdepression.
    Suzan sitzt mit gefalteten Händen auf dem Boden und starrt auf den venösen Zugang im entblößten Fuß ihres Liebhabers. So weit, denkt sie, so weit bringt uns die Liebe zur Betäubung. Das ist die Erlösung, der Ausweg, die Ruhe.

IV. Coda

25
    Der Fluss, an dem der Bauernhof liegt, nährt sich vom Regen. In diesem absonderlichen Frühjahr, das eher etwas von einem stürmischen Herbst hat, klettert das Wasser Tag für Tag weiter die Ufer empor. Wenn Drik unter halb geschlossenen Lidern auf die Wiese schaut, sieht er eine spiegelnde Wasserfläche zwischen den Grashalmen. Im verwahrlosten Garten stehen Pfützen, aus dem Strohdach ergießen sich bräunliche Rinnsale.
    Drinnen ist die Luft klamm. Es will ihm nicht recht gelingen, die Küche warm zu bekommen. Drik sitzt in Mantel und Gummistiefeln auf einem Campingstuhl. Die Whiskyflasche neben sich auf dem Boden. Das dunkle Kabuff, dessen Fußboden so schmutzig ist, dass er aus festgestampftem Lehm gemacht zu sein scheint, ist der einzige Raum im Bauernhaus, in dem er sich ein bisschen heimisch fühlt. Im Wohnzimmer mit dem herrlichen Blick auf den Fluss ist er nie; ins Schlafzimmer, in dem sein säuerlich riechendes Bett wartet, schleppt er sich erst, wenn er vom Alkohol ausreichend betäubt ist.
    Der Erlös aus dem Verkauf seines Hauses und die Erbschaft von Hendrik haben es ihm ermöglicht, den Bauernhof mit Nebengebäuden, Wiesen und einem Stück Wald zu erwerben. Er ist nun Eigentümer eines riesigen Grundstücks, in dessen Mitte er sich verschanzen kann. Am liebsten hätte er noch eine hohe Mauer um alles herum. Es ging alles blitzschnell. Er hat sich noch gar nicht richtig von den Veränderungen erholt, verspürt andauernd das Bedürfnis, auf dem Campingstuhl zu verschnaufen, mit dem Whiskyglas in der Hand. Der Karton mit den zwölf Flaschen, den er beim Getränkehändler im fünfundzwanzig Kilometer entfernten Ort gekauft hat, steht auf der Arbeitsplatte.
    Nach Allards Tod fand Drik sich in einem Niemandsland wieder. Peter und Roos wollten nicht mehr mit ihm sprechen. Mit Suzan hatte er noch im Zusammenhang mit dem Nachlass ihres Vaters zu tun, steif und förmlich. Danach Funkstille. Von einem Polizeibeamten wurde er über Allards Geisteszustand befragt und erfuhr, welche Mengen an Opiaten und Schlafmitteln in Allards Blut gefunden worden waren. Das
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