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Die Betäubung: Roman (German Edition)

Die Betäubung: Roman (German Edition)

Titel: Die Betäubung: Roman (German Edition)
Autoren: Anna Enquist
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unbekannte Nummer.
    »Hallo?«
    Ich muss zur Übergabe, denkt sie, und dann den Mann für die Hirnoperation abholen. Wo stehen meine Clogs? Tasche in den Spind, hier wird alles geklaut, Mantel reinstopfen, Kleider, abschließen.
    »Hallo«, sagt sie noch einmal. Sie hört ein Rauschen. Jemand holt tief Luft.
    »Suus? Bist du das?«
    Die Stimme von Drik. Heiser, unstet. Schlechter Empfang auch. Aus ihrer Kehle kommt kein Laut, als sie etwas sagen will.
    »Hörst du mich, Suzan?«
    »Ich höre dich«, sagt sie flüsternd. Ihre Beine geben nach, sie lässt sich schnell auf die Bank nieder.
    »Ich bin noch da«, hört sie Drik sagen. »Ich bin nicht weg. Ich habe es nicht richtig gemacht. Fehler begangen. Du hattest darunter zu leiden. Früher schon. Deshalb rufe ich dich an. So darf es nicht mehr weitergehen, zwischen uns. Ich habe etwas getrunken, aber ich meine, was ich sage. Suus?«
    »Es ist gut, Drik. Schlaf dich erst mal aus. Dann telefonieren wir heute Abend.«
    »Suus, Suusje. Bis später dann.«
    »Tschüs, Drik, bis heute Abend.«
    Sie steckt das Handy in die Hosentasche, verlässt erhobenen Hauptes den Umkleideraum und begibt sich zur Übergabesitzung unter ihre Kollegen. Lächelnd setzt sie sich neben Hettie. Gleich wird sie einen Mann in Schlaf versetzen, so tief, dass er nicht mitbekommen wird, wenn der Neurochirurg ihm den Schädel aufsägt. Sie wird dafür sorgen, dass er keine Schmerzen hat, aber auf dem Höhepunkt der Prozedur wird sie die Schlafmittelzufuhr stoppen und den Mann allmählich zu Bewusstsein kommen lassen. Langsam wird er aus der Tiefe der Betäubung auftauchen, in eine unbegreifliche, grausame Welt.

Zum Abschluss
    Im Frühjahr 2010 fragte mich Arko Oderwald, am Klinikum der Freien Universität Amsterdam (VUMC) verantwortlich für Aktivitäten auf dem Gebiet »Literatur und Heilkunde«, ob ich Interesse hätte, beim Projekt »Schriftsteller auf der Abteilung« mitzumachen. Ich dürfe die Arbeit einer Abteilung des Krankenhauses begleiten, um dann ein Buch darüber zu schreiben. Vor mir hatte schon Bert Keizer das getan und mit Onverklaarbaar bewoond (Unerklärlich bewohnt) einen Bericht über seine Erlebnisse in der Neurochirurgie geliefert.
    Ohne zu zögern, entschied ich mich für die Anästhesiologie. In meinem eigenen Fachgebiet, der Psychoanalyse, gehen wir davon aus, dass es für den Patienten in den meisten Fällen heilsam ist, zu fühlen, was in ihm vorgeht. Dazu muss der Widerstand gegen das verborgene Gefühl bearbeitet und aufgehoben werden. Wenn das Gefühl wirklich erlebt werden darf, kommt es zur Ruhe, und die Symptome verschwinden. Der Anästhesist dagegen schützt seinen Patienten vor dem Fühlen und betrachtet seine Arbeit als gelungen, wenn der Patient überhaupt nichts von den Schmerzen weiß, die ihm während einer Operation zugefügt werden. Dieser Gegensatz faszinierte mich schon seit Jahren, und so brauchte ich nicht lange darüber nachzudenken, ob ich die Einladung annehmen sollte oder nicht. Hier bot sich die willkommene Gelegenheit, einen schlummernden Plan zu realisieren.
    Im Herbst und Winter 2010/2011 verbrachte ich mehrere Tage in der Woche bei den Anästhesisten. Ich hatte die Möglichkeit, Fachärzte, in der Weiterbildung befindliche Assistenten und andere zu interviewen, war ganze Tage im Operationssaal dabei und beobachtete Simulationsübungen, Übergaben, Tag- und Nachtdienste. Ich stieß auf große Bereitschaft, mich an diversen Aspekten des Berufs teilhaben zu lassen, und das mit einer Offenheit, die ich außerordentlich zu schätzen gelernt habe.
    Ich bin dem VUMC dankbar dafür, dass ich die Chance hatte, mich in ein wundervolles Fachgebiet zu vertiefen. Es ist weit wichtiger und faszinierender, als die meisten Menschen denken.
    Ich danke Professor Stephan Loer, Lehrstuhlinhaber und Chefarzt der Abteilung Anästhesiologie, für das in mich gesetzte Vertrauen (und für die Literatur über awareness );
    ich danke den Fachärzten und Assistenten, die mich ins Schlepptau genommen haben und nicht müde wurden, meine Fragen zu beantworten;
    ich danke den Operateuren, die erlaubten, dass ich ihnen auf die Finger schaute;
    ich danke den Pflegekräften, den anästhesietechnischen Assistenten, dem Personal von Schockraum und Aufwachraum. Sie alle haben nicht nur meine Anwesenheit geduldet, sondern haben sich auch die Mühe gemacht, mir Dinge zu erklären und vorzuführen. Ich habe viel dabei gelernt.
    Jenny und Jildou, meine Begleiterinnen bei den Tag- und
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