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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
Autoren: Veronica Roth
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Versunkenheit. Dann zerre ich ihn ins Haus und schließe die Tür hinter uns.
    Caleb sieht mich an. Fragend zieht er seine dunklen, geraden Augenbrauen zusammen. Wenn er die Stirn so in Falten legt, ähnelt er eher meiner Mutter als meinem Vater. In diesem Moment sehe ich ihn vor mir, wie er das gleiche Leben führt wie mein Vater: wie er bei den Altruan bleibt, einen Beruf lebt, Susan heiratet, mit ihr eine Familie gründet. Er wird ein wunderschönes, erfülltes Leben führen.
    Nur ich werde dann vielleicht nicht da sein.
    » Sagst du mir jetzt die Wahrheit?«, fragt er leise.
    » Die Wahrheit ist, dass ich nicht darüber sprechen darf. Und du darfst mich nicht danach fragen.«
    » Ständig brichst du irgendwelche Regeln, nur diese eine nicht? Und das bei etwas so Bedeutsamem?« Caleb runzelt die Stirn und fängt an auf seiner Lippe zu kauen. Trotz seines vorwurfsvollen Untertons habe ich das Gefühl, als wolle er mir nicht nur einfach etwas entlocken, als wolle er wirklich meine ehrliche Antwort hören.
    » Und was ist mit dir?«, sage ich mit schmalen Augen. » Wie ist dein Test ausgegangen?«
    Wir blicken uns an. Ich höre in der Ferne einen Zug pfeifen, so leise, dass man es auch für einen Windhauch halten könnte, der durch die Gasse streicht. Aber ich weiß genau, was ich da höre. Es klingt, als riefen mich die Ferox zu sich.
    » Erzähl bitte nicht den Eltern, was passiert ist, okay?«, bettle ich.
    Caleb sieht mich forschend an, dann nickt er.
    Ich möchte nach oben gehen und mich hinlegen. Der Test, der Fußmarsch, das Zusammentreffen mit dem fraktionslosen Mann haben mich erschöpft. Aber Caleb hat an diesem Morgen das Frühstück zubereitet, Mutter hat das Pausenbrot für uns gemacht und gestern Abend hat Vater das Abendessen gerichtet. Deshalb bin ich jetzt an der Reihe. Ich hole tief Luft, gehe in die Küche und fange mit dem Kochen an.
    Kurze Zeit später kommt Caleb zu mir. Bei so viel Hilfsbereitschaft muss ich die Zähne zusammenbeißen. Er hilft bei allem. Seine natürliche Güte, seine angeborene Selbstlosigkeit irritieren mich immer wieder.
    Wortlos machen Caleb und ich uns an die Arbeit. Ich stelle die Erbsen auf die Herdplatte und er taut vier Hähnchenstücke auf. Meistens essen wir Tiefgekühltes oder Konserven, denn die Bauernhöfe sind sehr weit weg. Meine Mutter hat mir erzählt, dass die Menschen früher keine genetisch erzeugten Lebensmittel gekauft haben. Sie lehnten es als unnatürlich ab. Heutzutage bleibt uns gar nichts anderes übrig.
    Als meine Eltern nach Hause kommen, ist das Essen fertig und der Tisch gedeckt. Mein Vater lässt seine Tasche an der Tür fallen und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Andere Leute halten ihn für einen rechthaberischen Menschen– um nicht zu sagen herrisch–, aber er hat auch eine liebevolle Seite. Ich bemühe mich, nur seine guten Seiten zu sehen, ich bemühe mich wirklich.
    » Wie war der Test?«, will er von mir wissen. Ich schütte die Erbsen in eine Schüssel.
    » Gut«, antworte ich. Ich bin kein Candor, so viel steht fest. Lügen gehen mir viel zu leicht über die Lippen.
    » Ich habe gehört, dass es wegen eines Tests Aufregung gab«, sagt meine Mutter. Wie mein Vater arbeitet auch sie für die Regierung, sie ist für Stadterneuerungsprojekte zuständig, hat aber auch die Freiwilligen für die Eignungstests angeworben. Die meiste Zeit verbringt sie jedoch damit, die Leute einzuteilen, die den Fraktionslosen Essen, Unterkunft und Arbeit verschaffen sollen.
    » Ach ja?«, fragt mein Vater überrascht, denn so etwas kommt äußerst selten vor.
    » Ich weiß nicht viel darüber, aber meine Freundin Erin hat mir erzählt, dass bei einem der Tests etwas schiefgegangen ist, deshalb musste das Ergebnis mündlich übermittelt werden.« Meine Mutter legt eine Serviette neben jedes Gedeck. » Anscheinend ist dem Kandidaten schlecht geworden und man hat ihn vorzeitig nach Hause geschickt.« Achselzuckend fügt meine Mutter hinzu: » Ich hoffe, es geht dem Betreffenden wieder gut. Habt ihr beiden davon gehört?«
    » Nein«, beantwortet Caleb lächelnd Mutters Frage.
    Mein Bruder eignet sich ebenfalls nicht für Candor.
    Wir setzen uns. Bei Tisch reichen wir das Essen immer dem weiter, der rechts von uns sitzt, keiner isst, ehe sich nicht alle bedient haben. Mein Vater reicht meiner Mutter und meinem Bruder die Hand, sie wiederum geben ihm und mir die Hände, dann dankt mein Vater Gott für die Speisen, für die Arbeit, für unsere Freunde und
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