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Die Beschleunigung der Angst

Die Beschleunigung der Angst

Titel: Die Beschleunigung der Angst
Autoren: Andreas Acker
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Auf der anderen Seite: Wo würdest du dich denn mit
einer entführten Frau verschanzen, wenn du auf keinen Fall gesehen werden
darfst?«
    »Das leuchtet ein.«
    Der Weg wurde immer
beschwerlicher, und hätte sein Auto reden können, hätte es um Gnade gefleht.
Und wäre Daniel nicht derart voller Adrenalin gewesen, hätte er es seinem Wagen
gleichgetan.
    »Bleib stehen und schalt den
Motor aus«, sagte Thomas.
    Daniel bremste und drehte
den Zündschlüssel. Der Motor erstarb.
    »Hinter der nächsten Kurve
müsste die Villa sein. Wenn wir bis dorthin fahren, würde der Kerl uns kommen
hören und gewarnt sein. Wer weiß, vielleicht rastet der dann komplett aus. Also
schleichen wir uns an das Anwesen heran und sehen nach, ob er wirklich dort
ist.«
    »Und dann?«
    Thomas schürzte die Lippen.
    »Dann holen wir die
Polizei.«
    »In Ordnung.«
    Um nicht mehr Geräusche zu verursachen
als nötig, schlossen sie die Autotüren nicht. Hintereinander schlichen sie am
Wegrand auf die Kurve zu, hinter der nach Thomas‘ Erinnerung die Villa liegen
sollte.
    Es war kalt hier, und auf
Daniels Unterarmen, die aus seinem Poloshirt ragten, bildete sich eine
Gänsehaut. Auch an den Beinen war es unangenehm kühl. Er wünschte sich, er
hätte seine Shorts gegen Jeans getauscht und sich eine Sommerjacke
übergeworfen. Außerdem war es viel dunkler als noch auf der Landstraße. Es
schien, als wäre die Uhr vorgestellt worden, als wäre die Sonne nicht gerade
hinter dem Feldberg versunken, sondern schon längst dabei, einen weit
entfernten Teil der Welt in ihrem Licht zu baden.
    Dann erreichten sie die
Wegbiegung.
    Thomas‘ Gedächtnis hatte ihn
nicht getrogen. Hinter der Kurve lag tatsächlich die baufällige Henz-Villa.
Und, was wesentlich wichtiger war, vor ihr stand der silberne Geländewagen.
    Die Villa selbst befand sich
in einem viel schlechteren Zustand als Daniel in Erinnerung hatte. Das war auch
kein Wunder, schließlich waren eineinhalb Jahrzehnte seit seinem letzten Besuch
ins Land gezogen. Eineinhalb Jahrzehnte, in denen sich die Pfoten der
Sommerhitze, die Tatzen der Herbststürme und die Klauen des Frosts an dem
Mauerwerk ausgetobt hatten.
    Er wusste nicht viel über
die Geschichte des Hauses. Das wenige Wissen hatte er aus einem Bericht der
Lokalzeitung entnommen. Die Henz-Villa war bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg
von einem Industriemagnaten, der mit Rüstung zu Reichtum gekommen war, und
seiner Familie bewohnt worden.
    Außerdem hatte der
Industrielle dem Artikel nach in dem zweistöckigen Anwesen gerne oft und
ausgiebig gefeiert, und so waren hier unzählige prunkvolle Bälle ausgerichtet
worden. Hochrangige Mitglieder aus Politik, Wirtschaft und Showgeschäft waren
hier ein- und ausgegangen, hatten diniert und parliert, getanzt und Allianzen
geschmiedet, intrigiert und fremdgevögelt.
    Der Artikel schloss damit,
dass die ehemalige Prunkvilla nun vor sich hin verrottete und nur noch
gelegentlich vom Forstamt aufgesucht wurde, um nach dem rechten zu sehen. Doch
auch das schien nicht mehr zu passieren, dem umgestürzten Baum, der zwischen
Geländewagen und Anwesen lag, und dem allgemeinen Zustand des Geländes zu
urteilen.
    Und tatsächlich war von all
dem damaligen Prunk und Glanz nichts mehr übriggeblieben. Vielmehr sah die
Villa aus, als würde sie jeden Augenblick mit einem ergebenen Seufzen in sich
zusammenbrechen.
    Und die seitlich am Haus
gelegenen Pferdeställe, die bereits bei Daniels letztem Besuch kaum mehr als morsche
Bretter gewesen waren, die wie ein verfaultes Gebiss dachlos in die Höhe
ragten, würden wahrscheinlich direkt mit kollabieren.
    Stille hatte sich über den
Wald gelegt. Ein Teil der Tiere schien sich bereits zurückgezogen zu haben,
während die Nachtaktiven noch nicht erwacht waren, um auf die Jagd zu gehen.
Kein Laut war zu hören außer dem Wind, der die Blätter in den Baumkronen
streichelte und ihnen gut zuredete. Es war eine friedliche Stille.
    Doch die Illusion des
Friedens zerstob wie eine Rauchwolke im Orkan, als der Entführer die Fahrertür
öffnete und ausstieg.

Kapitel 4
     
    Daniel und Thomas hatten
zwar einen ungehinderten Blick auf das Auto, doch war es zu dunkel, um
Einzelheiten ausmachen zu können. Lediglich die Innenbeleuchtung des des Geländewagens
ließ sie grobe Schemen erkennen.
    Der Entführer stieg aus dem
Fahrerraum. Erst jetzt fiel Daniel auf, wie groß der Kerl war. Es sah aus, als
würde er Daniel um mindestens einen halben Kopf überragen. Damit war er etwa
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