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Die Beschleunigung der Angst

Die Beschleunigung der Angst

Titel: Die Beschleunigung der Angst
Autoren: Andreas Acker
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nicht
zerbrechen und verraten konnten. Thomas, der den Dienst an der Waffe verweigert
hatte, trat so viele Zweige entzwei, dass man daraus ein schönes Kaminfeuer
hätte entfachen können. In Daniels gereizten Ohren klang es, als würde sein
Freund Luftpolsterfolie zerdrücken.
    Als Thomas beim Geländewagen
angekommen war, beugte er sich durch die offene Fahrertür ins Wageninnere. Mit
einer Handbewegung wies er Daniel an, weiterzugehen. Daniel ging weiter mit
schlurfenden Schritten auf den Schatten neben der Eingangstür zu. Endlich
erreichte er ihn.
    Es handelte sich tatsächlich
um einen Blumenkübel, der die Ausmaße eines großen Päckchens hatte und sich zum
Boden hin verjüngte. Früher mochten hier wunderschöne Arrangements aus Rosen
und Tulpen gepflanzt worden sein. Heute roch es aus dem Behälter als seien dort
drin Dutzende von Ratten verreckt und verwest. Die Vase stand nicht direkt an
der Wand. Ein kurzer Blick bestätigte Daniel, dass er sich im Zweifelsfall
hinter ihr würde verstecken können.
    Allerdings hatte er nicht das
Bedürfnis herauszufinden, was sich zwischen Blumenkübel und Wand im Laufe der
Jahre an Dreck, Schmutz und sonstigem Unrat angesammelt hatte und welche
Spinnen diese dunkle Abgeschiedenheit ihr Zuhause nannten. Nur im Notfall würde
er sich dort verkriechen.
    Er warf einen Blick auf das
Auto. Hinter der Baumkrone, im fahlen Licht der Innenbeleuchtung, konnte er den
Lockenkopf seines Freundes ausmachen. Anscheinend hatte der sich quer über den
Fahrersitz gebeugt und durchsuchte gerade das Handschuhfach oder die
Mittelkonsole. Hoffentlich beeilte er sich.
    Daniel wunderte sich
darüber, dass sämtliche Türen und Fenster nicht zubetoniert worden waren, wie
man es so oft bei einsturzgefährdeten Bauwerken praktizierte, damit dort keine
Jugendlichen Alkoholpartys oder Orgien feierten. Doch wahrscheinlich war das
Anwesen derart weit ab vom Schuss, dass niemand in der Stadtverwaltung auf die
Idee gekommen wäre, hierher könnte sich auch nur eine Seele verirren. Die Villa
schien wirklich komplett in Vergessenheit geraten zu sein. Na ja, vielleicht
nicht komplett, wie der heutige Abend zeigte.
    Er schlich zu den drei
Stufen, die zur Haustür führten, dann legte er ein Ohr an die Holztür und
versuchte, etwas aus dem Inneren des Hauses zu vernehmen. Das Holz fühlte sich
rau an, und eine Zeit lang hörte er nichts außer dem Blut, das in seinem Kopf
rauschte wie eine alte Kassettenaufnahme. Ein kurzer Seitenblick zeigte ihm,
dass Thomas mit seiner Wageninspektion immer noch nicht fertig war.
    Jetzt mach hin, Alter!
    »Ich hab‘s getan«,
verkündete eine Stimme, höchstens dreißig Zentimeter von Daniels Ohr entfernt
und nur durch wurmstichiges Holz getrennt. Dem kurzen Satz folgte ein Schnappen
wie von Plastik, das Daniel nicht einordnen konnte.
    Er riss seinen Kopf von der
Tür weg. Der Entführer musste direkt auf der anderen Seite der Tür stehen, so
klar, wie er ihn gehört hatte. Er machte einen Satz nach hinten, und da kein
Geländer die Treppe absicherte, stolperte er rückwärts gegen den Pflanzkübel.
Er knickte in den Kniekehlen ein, verlor das Gleichgewicht und kippte nach
hinten über das Pflanzbehältnis. Er stieß sich den Kopf an der Wand, konnte
jedoch Schlimmeres verhindern, indem er sich abfing, auch wenn die Muskeln in
seinen Armen aufgrund der Strapazen, die sie unaufgewärmt vollführen mussten,
protestierten. Doch ansonsten blieb er unverletzt. Das Problem war nur, dass
sein Sturz alles andere als lautlos vonstattengegangen war. Und er musste davon
ausgehen, dass wenn er den Mann so gut hatte verstehen können, auch er selbst
gut zu hören war.
    Die Haustür neben dem
Pflanzkübel wurde aufgerissen. Das Quietschen der Angeln klang wie ein wütendes
Reptil. Daniel konnte einen flackernden Lichtschein, wahrscheinlich von einer
oder mehrerer Kerzen, ausmachen. Die Silhouette des in der Tür stehenden
Entführers warf einen riesigen, sich stetig verändernden Schatten in den
Innenhof.
    Daniel drückte sich so fest
hinter die Blumenvase an die Wand, dass er befürchtete, die durch die jahrzehntelangen
Wettereinflüsse baufällige Mauer einzudrücken. Er musste ein Würgen
unterdrücken, als Spinnenweben, dick wie Nähgarnfäden, sich ihm über das
Gesicht legten.
    Geh rein. Geh einfach wieder
rein!
    Doch der Entführer dachte nicht
daran, sich von Daniels telepathisch ausgesandten Befehlen beeinflussen zu
lassen. Er trat in den Innenhof und ging auf den
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