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Die Beschenkte

Die Beschenkte

Titel: Die Beschenkte
Autoren: Kristin Cashore
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einen Brotlaib aus, den er ihr hinhielt, doch sie schüttelte den Kopf. »Ich werde später essen.«
    Giddon brach ein Stück ab und reichte Oll den Laib. »Bist du wütend, weil wir keine Kraftübungen gemacht haben, als du kamst, Katsa? Hätten wir Klimmzüge an den Ästen machen sollen?«
    »Ihr hättet entdeckt werden können, Giddon. Man hätte euch sehen können, und was dann?«
    »Dir wäre etwas eingefallen«, sagte Giddon. »Du hättest uns gerettet, wie du alle rettest.« Er lächelte, seine freundlichen Augen erhellten ein selbstbewusstes und gutaussehendes Gesicht, aber das machte momentan keinen Eindruck auf Katsa. Giddon war ein wenig älter als Raffin, kräftig und ein guter Reiter. Es gab keine Entschuldigung dafür, dass er geschlafen hatte.
    »Kommen Sie, My Lord«, sagte Oll. »Wir essen unser Brot im Sattel. Sonst reitet unsere Dame ohne uns davon.«
    Sie wusste, dass die beiden sie neckten und sie für zu kritisch hielten. Sie wusste aber auch, dass sie sich selbst kein Nickerchen gestattet hätte, wenn das gefährlich war.
    Andererseits hätten sie den beschenkten Lienid niemals leben lassen. Wenn sie das wüssten, wären sie sehr wütend, und sie hätte nicht einmal eine vernünftige Ausrede.
    Sie ritten zwischen den Bäumen zu einem Waldpfad, der parallel zur Hauptstraße verlief, und wandten sich nach Osten. Sie zogen die Kapuzen tief ins Gesicht und trieben die Pferde an. Nach ein paar Minuten zwischen dröhnenden Hufen verflogen Katsas Bedenken. Wenn sie in Bewegung war, machte sie sich nie lange Sorgen.
    Auf die Wälder der südlichen Middluns folgten Hügel, zuerst niedrige, dann größere, als sie sich Estill näherten. Sie hielten nur einmal an, zur Mittagszeit, um in einem abgelegenen Gasthof, der dem Rat seine Dienste angeboten hatte, die Pferde zu wechseln.
    Mit frischen Pferden kamen sie gut voran, und als dieNacht anbrach, näherten sie sich der Grenze zu Estill. Wenn sie früh losritten, konnten sie bis zur Mitte des Vormittags ihr Ziel, das Gut in Estill, erreichen, ihre Angelegenheit für Randa erledigen und dann umkehren. Sie konnten in einem vernünftigen Tempo reiten und dennoch am folgenden Tag vor Einbruch der Nacht in Randa City ankommen. Zu diesem Zeitpunkt wurden sie von Randa erwartet. Und dann würde Katsa wissen, ob Prinz Raffin von dem alten Lienid etwas erfahren hatte.
    Sie lagerten in einem tiefen Felsspalt, der sich bis zum Fuß eines der östlichen Hügel zog. Die Nacht war kalt, doch sie entschieden sich gegen ein Feuer. In den Hügeln an der Grenze zu Estill lauerten zwielichtige Gestalten, und obwohl sie sich sicher fühlen konnten – zwei mit Schwertern bewaffnete Männer und Katsa –, hatte es keinen Sinn, Gefahren herauszufordern. Sie aßen Brot und Käse, tranken Wasser aus ihren Feldflaschen und stiegen dann in ihre Schlafsäcke.
    »Heute Nacht werde ich gut schlafen«, sagte Giddon gähnend. »Ein Glück, dass der Gasthof dem Rat Hilfe angeboten hat. Sonst hätten wir die Pferde zuschanden geritten.«
    »Es überrascht mich, wie viele Freunde der Rat findet«, sagte Oll.
    Giddon stützte sich auf den Ellbogen. »Hast du das erwartet, Katsa? Hast du damit gerechnet, dass sich dein Rat so vergrößert?«
    Was hatte sie erwartet, als sie mit dem Rat anfing? Sie hatte sich vorgestellt, wie sie allein durch Gassen und um Ecken schlich, eine unsichtbare Kraft, die gegen die Gedankenlosigkeit der Könige arbeitete. »Ich habe nie erwartet, dass die Sache über mich hinausgeht.«
    »Und jetzt haben wir Freunde in fast jedem Königreich«, sagte Giddon. »Menschen öffnen uns ihre Häuser. Hast du gewusst, dass ein Grenzlord von Nander die Bewohner eines ganzen Dorfs hinter seine Mauern holte, als der Rat vor einem Überfall aus Wester warnte? Das Dorf wurde zerstört, aber die Menschen blieben alle am Leben.« Er legte sich auf die Seite und gähnte wieder. »Das macht Mut. Der Rat bewirkt viel Gutes.«
    Katsa lag auf dem Rücken und horchte auf das gleichmäßige Atmen der Männer. Auch die Pferde schliefen. Nicht aber Katsa: Nach zweitägigem anstrengendem Ritt und einer schlaflosen Nacht dazwischen war sie hellwach. Sie sah den Wolken zu, die über den Himmel zogen, die Sterne verhüllten und wieder freigaben. Ein nächtlicher Wind wehte und ließ das Hügelgras rascheln.
    Als sie das erste Mal für Randa jemanden niederstreckte, war das in einem Grenzdorf nicht weit von diesem Lager. Ein Gefolgsmann von Randa war als Spion enttarnt worden, er stand im
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