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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung
Autoren: Heinz G. Konsalik
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…«
    »Also gut, Färber …« Runkel sah den neuen Professor durch seine Brille ernst an. »Sie haben als Chirurg und Wissenschaftler eine Karriere gemacht … aber Sie haben geschlafen! Wenn Sie aus der Klinik kamen, haben Sie wohl immer gleich geschlafen, wie? Vielleicht tun wir das alle, eben, weil wir draußen alles andere, nur keine Krankheit sehen wollen.«
    In Färbers Brust zog sich etwas zusammen. Er spürte sein Blut wie einen Eisstrom durch Herz und Adern rinnen.
    »Ich verstehe Sie nicht«, sagte er leise. »Habe ich etwas falsch gemacht, versäumt? Ich lebe mit meiner Frau wieder in glücklichster Gemeinschaft und …«
    »Mein Gott, Sie machen es einem immer schwerer!« Runkel hob die Hand.
    Über Färbers Gesicht zuckte es.
    »Ganz grob, Färber, ganz ohne Umschweife: Ihre Gattin war gestern bei mir. Zu einer Privatkonsultation.«
    »Herta …«, stotterte Färber.
    »Ich habe sie genau untersucht! Darum sagte ich eben: Sie haben geschlafen, Färber! Ihre Frau hat …« Runkel sah zur Seite, weil der Blick Färbers fast flehend an ihm haftete. »… Sie hat ein Mammakarzinom …«
    »N … nein!« schrie Färber. Er hielt sich am Tisch fest.
    »Rechts. Die Diagnose ist kaum anzuzweifeln.«
    »Ich fahre sofort nach Hause! Ich will es selbst feststellen! Und wenn es so ist … wir operieren noch morgen!«
    »Das habe ich auch gesagt! Aber …«
    »Aber?« stöhnte Färber. Er begriff plötzlich und wehrte sich dagegen.
    »Ihre Frau will nicht!«
    »Sie will nicht …«
    »Sie verweigert die Operation! Ich habe ihr alles erklärt, ich habe versucht, ihr klarzumachen, was es heißt, die sichere Rettung auszuschlagen, ich habe so grob wie nie in meinem Leben gesprochen. Ihre Antwort: Was ein Brustkrebs ist, habe ich ein Jahr an der Stelle studiert, wo es keine Hoffnung mehr gab! Und an diese Stelle will ich zurück!«
    »Das … das hat sie gesagt?«
    Runkel nickte und sah auf seine Schuhspitzen. Färber tat ihm leid.
    »Ich habe alles mitgebracht, Färber … den Untersuchungsbericht, Röntgenbilder und die unterschriebene Erklärung Ihrer Frau, daß sie es ablehnt, sich operieren zu lassen.« Er legte alles auf den Tisch, eine dünne Mappe, aus der die Negative mit der Thoraxaufnahme herausragten.
    Es war, als sähe Färber sie gar nicht. Er starrte vor sich hin, bleich und mit zerfurchtem Gesicht. Runkel stand auf, er klopfte ihm auf die Schulter und ging wortlos hinaus.
    Scheußlich, dachte er, während er das Johanniter-Krankenhaus verließ. Erst haben wir die Hansen-Klinik zugemacht … und jetzt trifft es ihn selbst. Und man kann ihm nicht helfen …
    Der Klinikchauffeur wunderte sich, daß Runkel ihn offenbar vergessen hatte. Der Professor hatte sich in den Sitz fallen lassen und saß zurückgelehnt mit geschlossenen Augen da. Erst als der Fahrer laut fragte: »Wohin, Herr Professor?« schien Runkel wieder zu erwachen.
    »Zurück zur Klinik!« rief er.
    Der Motor war gerade angesprungen, da schoß ein heller Wagen aus dem Krankenhaushof an ihnen vorbei und jagte schleudernd auf die Straße. Der Bruchteil einer Sekunde, in dem Runkel erschrocken nach links blickte, genügte, um das starre Gesicht Professor Färbers zu erkennen.
    »Dem Wagen nach«, rief Runkel. Der Fahrer drückte auf das Gaspedal. Nach hundert Metern schüttelte er den Kopf.
    »Der ist weg, Herr Professor!«
    »Ihm nach, Sie Trottel!« schrie Runkel. »Da ist er doch! Ich sehe ihn ja noch!«
    »Um die nächste Kurve ist er weg … der hat mindestens hundertzwanzig drauf!«
    »Dann fahren Sie eben hundertfünfzig!« Runkel schlug auf die Lehne der Vordersitze. »Wir dürfen ihn nicht aus den Augen lassen.«
    Wenn Färber bloß keine Dummheit macht, dachte Runkel immerfort, während sie ihn aus den Augen verloren. Wenn der bloß keine Dummheiten macht …
    Als es abends auf neun ging, wurde Herta Färber unruhig. Sie rief im Johanniter-Krankenhaus an. Sie hatte sich vorgenommen, mit Hubert zu sprechen. Zuerst war sie verzweifelt. Sie hatte Professor Runkel zwar in der alten stolzen, unnahbaren Haltung verlassen, in jener gespielten Kälte, die ihr schon so viel Bewunderung und Haß eingetragen hatte, aber zu Hause war sie zusammengebrochen, hatte sich auf das Bett geworfen und in die Kissen geschrien.
    »Ich will leben! Leben! Leben!« hatte sie geschrien und mit den Fäusten um sich geschlagen. Dann war sie ruhiger geworden, hatte sich auf den Rücken gelegt und gezwungen, ganz nüchtern zu denken. So nüchtern, wie sie es ein
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