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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten
Autoren: A. J. Kazinski
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erster Weihnachtstag. Kein normaler Tag, eher einer der lahmen, sah man mal von den Familienvätern ab, die sich auch noch nach vier Weihnachtsbieren und fünf Schnäpsen für fahrtüchtig hielten. Eine Verfolgungsjagd durch die weihnachtlich verschneiten Straßen war aber definitiv recht ungewöhnlich. Leon griff zum Funkgerät. »Albrectsen? Können Sie den Fælledvej einsehen?«
    Die Antwort kam sofort: »Gute Aussicht. Alles ruhig.«
    Leon starrte aus dem Fenster. Erst war er sich nicht sicher. Aber als er die anderen Autos ausweichen sah, erkannte er ihn durch das Schneegestöber. Getönte Scheiben. Ein alter Lieferwagen. Dunkelgrüner Citroën Lieferwagen auf dem Weg über die Brücke in Richtung Rigshospital .
    »Fuck!«
    Leon hob die Stimme und fauchte ins WalkieTalkie: »Albrectsen! Haben Sie den Funk verfolgt?«
    »Yes! Ich übernehme den Haupteingang.«
    »Gruppe zwei? Habt ihr die Einfahrt in die Tiefgarage?«
    Er wartete auf eine Antwort: »Gruppe zwei! Jensen?« Keine Antwort. »Albrectsen? Siehst du die Gruppe zwei?«
    »Nee, vor einem Augenblick waren die noch da.«
    Jetzt hörte Leon die Sirenen der Streifenwagen, die den Lieferwagen verfolgten. »Scheiße!«
    Niels stützte sich auf Hannah, die sich wiederum auf eine Krücke stützte. Ein schönes Paar.
    »Was ist da los, Leon?«
    »Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müssten. Wir haben alles unter Kontrolle.«
    Beide hörten sie Albrectsens verzweifelte Durchsage: »Die sind um mich rumgefahren und in der Tiefgarage verschwunden.«
    Leon rannte los. Er klang wie ein General im Krieg. »Keiner verlässt dieses Auto! Verstanden?«
    »Wir müssen raus, Hannah.« Niels’ Stimme war schwach. Schon das Aufstehen hatte ihm fast alle Kräfte geraubt. Sein Rücken brannte.
    »Das können wir nicht, Niels. Was ist mit dem Dach? Da haben wir den Überblick.«
    »Zum Fahrstuhl.« Niels taumelte los. Als er am Fenster vorbeiging, sah er nach draußen. Windstöße zerrten an den Bäumen, die die Straße säumten. Ein paar Autos waren von der spiegelglatten Fahrbahn abgekommen und hingen jetzt wie gestrandete Wale in den hohen Schneewällen – sicher, weil sie einer Kollision mit diesem Lieferwagen aus dem Weg gehen wollten. Tapfer versuchte die Sonne, ihre letzten Strahlen gegen den Schneeschauer und die zunehmende Dunkelheit zu verteidigen, aber der ungleiche Kampf war aussichtslos. Die rötlich gelben Straßen erweckten den Anschein, als stünde Kopenhagen – die Straßen, Dächer, ja sogar die Luft – in Flammen. »Das Jüngste Gericht«, murmelte Niels. »So sieht es also aus: still, ruhig und rot.«
    Er sah jetzt den dunklen Lieferwagen am Rand der seitlich offenen Tiefgarage entlangschlittern, ein paar Fahrräder wegfegen und weiterfahren.
    »Komm jetzt, Niels!« Hannah stand bereits am Aufzug.
    Niels ging zu ihr, aber das Bild des dunklen Lieferwagens ging ihm nicht aus dem Kopf.
    »Nicht auf das Dach«, sagte er, während er in den Fahrstuhl stolperte und fast den Halt verlor.
    »Das ist unsere einzige Chance, Niels. Die Ausgänge sind abgesperrt. Da kommen wir nicht raus. Und der Keller … du hast es ja gehört, da wimmelt es vor Polizisten.«
    »Der Ausgang: Lass es uns probieren. Wir müssen an ihnen vorbeikommen.« Niels drückte den Knopf für das Erdgeschoss und sackte zusammen.
    »Niels!« Hannah hockte sich neben ihn. »Was passiert mit dir?«
    »Mein Rücken. Er brennt so … wie viel Zeit?«
    Niels schmeckte Blut im Mund. »Mein Mund.«
    Er gab auf.
    »Komm, Niels.« Sie versuchte, ihn hochzuziehen.
    Er hörte ihre Worte, sie drangen aber nicht wirklich bis zu ihm durch. Er saß zusammengesunken im Aufzug. Die Schmerzen auf seinem Rücken waren unerträglich, als lehnte er sich an glühende Kohlen.
    »Du blutest aus der Nase.«
    Wie in Trance hob er die Hand an seine Nase. Hannah hatte Recht.
    »Wir müssen raus aufs Dach, Niels.«
    »Warum?«, stammelte er.
    »Wir haben nur noch wenige Minuten.«
    »Dann sterbe ich, Hannah. Und dann stirbt …«
    »Nein, Niels.«
    Sie nahm etwas aus ihrer Tasche. »Wir werden die hier benutzen.«
    Mühsam hob er den Kopf. »Nein, Hannah.«
    Sie hielt seine Pistole in der Hand.
    ***
    15.48 Uhr – 4 Minuten bis Sonnenuntergang
    Der dunkle Lieferwagen fuhr in viel zu hohem Tempo über die Rampe der Tiefgarage wieder nach oben. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde der Fahrer die Kontrolle verlieren. Dann blockierten die Bremsen, und der Wagen rutschte wie vom Glück gesteuert zwischen den
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