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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten
Autoren: A. J. Kazinski
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platzierte seinen Zeigefinger auf dem Abzug. »Du musst abdrücken, Niels. Tu es einfach; ich will zurück, ich habe gesehen, was uns erwartet. Das ist das Einzige, was ich will. Zurück. Zurück zu Johannes.«
    »Nein.«
    »Niemand wird dich verdächtigen. Jeder wird das für Selbstmord halten. Ich bin ein psychisches Wrack. Dein Chef hatte Recht.«
    Ein unerwartetes Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen. »Ich habe nichts zu verlieren. Nichts.«
    »Nein, ich kann das nicht.«
    Plötzlich verschwanden alle Geräusche. Niels sah ihren Mund, der sich bewegte, ohne dass Laute herauskamen. Der Lärm des Windes, des Wetters und der Stadt weit unter ihnen war verstummt. Geblieben war eine Stille, von deren Existenz er keine Ahnung gehabt hatte. Eine Stille, die so anrührend war, dass er für einen Augenblick die Augen schloss, um sie zu genießen.
    »Es ist so still«, flüsterte er. »So still.«
    Wärme strömte durch seinen Körper. Eine wundersame, angenehme Wärme, die die Schmerzen in seinem Rücken verschwinden ließ und ihm Ruhe schenkte – Linderung, endlich. Vielleicht hatte Hannah Recht, vielleicht war das eine Vorahnung dessen, was ihn erwartete. Ein Versprechen. Wärme, Ruhe und Frieden. Für einen Augenblick war es so, als hätte das Unwetter aufgehört, als wäre der Schnee verschwunden und die Wolken auseinandergetrieben, so dass er die Sterne über sich erahnen konnte, zum Greifen nahe. Er sah wieder zu Hannah, die ihn anflehte, aber er konnte nichts hören. Sie presste die Pistolenmündung auf ihr Herz und formte die Worte: »Jetzt, Niels, jetzt«, aber er konnte sie noch immer nicht hören. Niels schloss die Augen. Er wusste, dass sie Recht hatte. Er wollte ihr nicht zuhören. Er konnte nicht. Trotzdem drückte er auf den Abzug. Das Aufschlagen des Hahns ließ seine Hand erzittern.
    Ein Ruck ging durch Hannah. Vielleicht taumelte sie. Niels sah sie an, sah, wie sie einen Schritt zurücktrat, aber da war kein Blut. Im gleichen Moment spülten die Laute wieder durch seine Ohren und trafen mit voller Wucht auf sein Trommelfell.
    »Aber …«
    Hannah drehte sich um. Sah Richtung Westen. Die Sonne war weg. Die Dunkelheit gekommen.
    »Du hast es getan, Niels.«
    Niels spürte die Knie unter sich zittern. Er suchte Hannahs Brust noch immer nach dem Einschussloch ab. Konnte nicht verstehen, warum sie nicht zu bluten begann. Krampfartige Zuckungen liefen durch seinen Körper.
    Sie streckte ihm ihre Hand hin und öffnete sie langsam. Darin lag das Magazin der Waffe.
    Sie legte ihre Arme um ihn. Er schloss die Augen.
    Dann hörte er Schritte und Stimmen. Leons Rufen: »Bentzon? Sind Sie hier oben?«
    Niels öffnete die Augen.
    Aber er sah nur zu Hannah oder auf die weichen Flocken, die zwischen ihnen tanzten.

20.
    20.
    Montag, 4. Januar 2010
    Niels spürte die Veränderung in seinem Körper deutlich, als er den Koffer im Krankenhaus packte. Nicht nur die Schmerzen im Rücken waren verschwunden, auch das Gehen fiel ihm leichter. Etwas in seinem Innern hatte sich verändert. Normalerweise hätte ihn bereits die Tatsache, einen Koffer zu packen, so sehr an Reisen erinnert, dass die Angst sich in seinem Körper eingenistet hätte, bereit, ihn jederzeit wie ein unüberwindlicher Gegner zu übermannen.
    Aber jetzt war es anders. Vollkommen ruhig legte er seine Kleider in den Koffer. Zuletzt, ganz oben, den Polizeiausweis und die Pistole. Nicht einmal beim Schließen des Koffers überkam ihn Angst.
    »Gehen Sie heute nach Hause?« Die Krankenschwester machte das Bett.
    »Ja, jetzt reicht es. Ich habe bei all dem guten Essen sogar zugenommen.« Er klopfte sich auf den Bauch.
    »Ich freue mich, dass es Ihnen wieder bessergeht.«
    »Danke für Ihre Hilfe.« Er reichte ihr die Hand. Aber zu seiner Überraschung umarmte sie ihn.
    »Viel Glück für alles, Niels.« Sie klang fast ein bisschen traurig, als würde er ihr fehlen. Aber sie lächelte.
    ***
    Hannah sollte erst in ein paar Tagen entlassen werden. Niels ging mit einem Blumenstrauß in der Hand in ihr Zimmer, um sich zu verabschieden. Es gab aber keine Vase, in die er sie stellen konnte.
    »Leg sie einfach hierher«, sagte sie und strich über die Bettdecke. »Die sind schön. Was sind das für welche?«
    Niels zuckte mit den Schultern. »Ich kenne mich doch nicht mit Blumen aus.«
    »Ich hatte übrigens mal vor, mir oben im Sommerhaus einen richtigen Garten anzulegen. Alles umzupflanzen und … ja, du weißt.«
    Er küsste sie auf den Mund. Nur kurz; warme, weiche
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