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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn
Autoren: Patricia Highsmith
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die Hände warm rieb.
    Und wen? hätte Mrs. Palmer gern gefragt. Erzählen Sie mir von ihnen. Sie atmete leise und wartete.
    Elsie klopfte mit der Kante des Tabletts gegen die Tür.
    »Kommen Sie rein, Elsie«, sagten beide, Mrs. Blynn ein bißchen lauter.
    »So, da wären wir«, sagte Elsie und stellte das Tablett auf zwei übereinandergestapelte, pralle olivgrüne Sitzkis-sen. Während das Dienstmädchen den Tee einschenkte, rann die Butter von einem warmen Scone auf den Teller und flockte.
    Elsie reichte Mrs. Palmer eine Tasse Tee mit drei Stück Zucker, aber keinen von den Scones, denn die waren laut Mrs. Blynn für sie zu schwer verdaulich. Mrs. Palmer war nicht traurig deswegen. Sie erfreute sich auch am bloßen Anblick goldgelb gebutterter Scones und an dem gesunden Appetit, mit dem jemand wie Mrs. Blynn sie verzehrte. Das Ingwerplätzchen, das man ihr anbot, lehnte sie dankend ab.
    Mrs. Blynn unterhielt sich mit Elsie über ihre Wasserrohre und berichtete ihr vom Angebot der Woche beim Metzger.
    Und weil Elsie währenddessen mit verschränkten Armen in der halboffenen Tür lehnte, war Mrs. Palmer der eisigen Zugluft ausgesetzt. Elsie merkte sich all die Preisvorteile, auf die Mrs. Blynn sie hinwies. Jetzt ging es um den Ket-chup im Reformhaus, der diese Woche runtergesetzt war.
    »Rufen Sie mich, wenn Sie noch was möchten«, sagte 14
    Elsie wie gewohnt, bevor sie mit eingezogenem Kopf verschwand.
    Mrs. Blynn verzehrte andächtig ihre Scones. Sie hatte sich vorgebeugt, damit die zerlaufene Butter auf den Stein-fußboden tropfte und nicht auf ihren Rock.
    Mrs. Palmer zog fröstelnd die Decke hoch.
    »Kommt Ihr Sohn denn nun?« fragte Mrs. Blynn laut und deutlich und sah Mrs. Palmer neugierig an.
    Mrs. Palmer wußte nicht, was Elsie Mrs. Blynn erzählt hatte. Sie hatte Elsie nur gesagt, er käme vielleicht. »Ich habe noch keine Nachricht. Er wird wohl warten, bis er mir seine genaue Ankunft mitteilen kann … oder bis er sicher weiß, ob er überhaupt Urlaub bekommt. Sie wissen ja, wie das ist bei der Air Force.«
    »Hm-hm«, grunzte Mrs. Blynn, die den Mund voll Scone hatte. Aber es klang, als sei sie selbstverständlich im Bilde, wo ihr Mann doch bei der Marine gewesen war. »Er ist wohl Ihr einziger Sohn und Erbe, wie?«
    »Mein einziger, ja«, sagte Mrs. Palmer.
    »Verheiratet?«
    »Ja.« Und der nächsten Frage vorgreifend, setzte sie hinzu: »Er hat eine Tochter, aber die ist noch sehr klein.«
    Mrs. Blynns Blicke wanderten immer wieder zu Mrs.
    Palmers Nachttisch, und auf einmal begriff Mrs. Palmer, was ihr dort ins Auge stach – ihre Amethystbrosche. Mrs.
    Palmer hatte sie ein paar Tage an ihrer Strickjacke getragen, bis es ihr so schlecht ging, daß die Brosche sie nicht mehr aufheitern konnte, ja ihr fast geschmacklos vorkam.
    Da hatte sie sie abgenommen.
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    »Das ist eine wunderschöne Brosche«, sagte Mrs. Blynn.
    »Ja, die habe ich vor vielen Jahren von meinem Mann geschenkt bekommen.«
    Mrs. Blynn trat ans Bett, um das Schmuckstück aus der Nähe zu betrachten, aber sie rührte es nicht an. Der rechteckige Amethyst war von lauter kleinen Brillanten eingefaßt. Mrs. Blynns vorquellende Augen verrieten lebhaftes Interesse, als sie sich über die Brosche beugte. »Die werden Sie wohl Ihrem Sohn vermachen… oder seiner Frau.«
    Unmut, vielleicht auch Verlegenheit ließ Mrs. Palmer erröten. Sie hatte sich eigentlich noch keine Gedanken dar-
    über gemacht, wem sie die Brosche hinterlassen würde.
    »Da mein Sohn mein Alleinerbe ist, wird er vermutlich alles bekommen.«
    »Hoffentlich weiß seine Frau so ein schönes Stück zu schätzen«, sagte Mrs. Blynn. Sie machte lächelnd kehrt und stellte ihre Tasse auf die Untertasse zurück.
    Mrs. Palmer begriff, daß Mrs. Blynn es schon seit ein paar Tagen auf die Brosche abgesehen hatte, wann immer ihre Blicke zum Nachttisch gewandert waren. Als Mrs.
    Blynn gegangen war, nahm sie die Brosche an sich und be-deckte sie schützend mit der hohlen Hand. Ihr Schmuckkasten stand außer Reichweite, auf der anderen Seite des Zimmers. Elsie kam, um abzuräumen, und Mrs. Palmer sagte: »Elsie, seien Sie doch so gut und bringen Sie mir die blaue Schatulle.«
    »Gewiß doch, Madam«, sagte Elsie, stellte das Tablett ab und reckte sich nach der Kassette auf dem Bücherschrank. »Meinen Sie die?«
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    »Ja, danke.« Mrs. Palmer nahm den Schmuckkasten, klappte den Deckel auf und ließ die Brosche auf ihre Perlen gleiten. Sie besaß nicht viele Schmuckstücke, zehn
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