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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition)
Autoren: Leonard Bergh
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Dieser Wille zur Vernichtung des Andersartigen ist direkt ins Christentum eingeflossen. Neben der brutalen Weltsicht des Alten Testamentes hat es unzählige andere Traditionen in sich aufgenommen, denn keine Religion, kein Weltbild, kann nur aus sich heraus, ohne die Leitbilder der Vergangenheit entstehen.
Neu ist am Christentum, dass der römischen Kirche durch ihre Kollaboration mit Kaiser Konstantin dem Großen plötzlich hoheitliche Machtmittel zur Verfügung standen, mit denen der radikale Führungsanspruch erbarmungslos gegen jeden durchgesetzt werden konnte, der ihren Interessen im Wege stand. Seither aber ist die Kirche ohne Verbrechen nicht mehr ausgekommen. Zu verlockend sind die Versuchungen der Macht, das Irrlicht der Weltherrschaft, an der die Kirche auch heute noch festhält, als selbsterklärte Inhaberin der alleinigen Wahrheit und des wahren Glaubens. Wie Kaiser Konstantin rechtfertigen Machthaber noch immer Kriege und Gräuel mit dem christlichen Gott. Die Kirche tritt ihnen entgegen, mit Worten. Mit Taten kooperiert sie.
Glaube ohne Kirche ist wahrscheinlich eine Illusion. Die Sehnsucht nach Gott ist von der kirchlichen Überlieferung nicht zu trennen. Die Kirche beherrscht das Wertesystem, die Traditionen und das Gedankengut des Abendlandes. Wäre damit ein Leben ohne kirchlichen Glauben, konsequent zu Ende gedacht, letztlich ein Leben außerhalb dieser menschlichen Gemeinschaft? Wer könnte diesen Preis bezahlen?
E.A.S.

Schiefer Dienstag, kurz vor 12 Uhr; Leander Blum
    »Leo, der Mandant ist da!«
    Leander Blum fuhr aus dem schwarzen Chefsessel hoch. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht gehört hatte, wie Frau Magdalener, die Sekretärin, ins Zimmer gekommen war. Ein Anflug von Röte stieg ihm ins Gesicht, er strich mit der flachen Hand über sein kurzes Haar.
    »Gut, ist schon gut, ich komme gleich!«
    Frau Magdalener nickte und schloss beim Hinausgehen leise die Tür. Leo atmete auf.
    Leander Blum war Rechtsanwalt, Anfang 30, nicht allzu groß und nicht mehr ganz schlank. Seinen Vornamen mochte er nicht, hielt ihn für gestelzt und übertrieben. Deshalb nannten ihn alle nur Leo. In seinem dunkelblauen Nadelstreifenanzug sah er nicht schlecht aus. Er richtete sich auf und legte seine Hände auf den mächtigen Schreibtisch, als sei er im Begriff, energisch aufzustehen. Der Tisch war leer, bis auf das Telefon, sein Macbook und die lederne Schreibtischunterlage.
    ›Jetzt ist es also soweit!‹, sagte er sich und versuchte ruhig zu bleiben. Vielleicht war das der große Tag, die einmalige Chance. Aber Leo fühlte sich unwohl. Das Zimmer gehörte seinem Chef, Rechtsanwalt Dr. Maximilian Albertz, einem eleganten, selbstsicheren Mann, Inhaber der angesehenen Kanzlei Dr. Albertz & Kollegen, die in der ersten Etage einer aufwändig sanierten Gründerzeitvilla in der Leopoldstraße residierte. Vor gut 30 Jahren hatte Dr. Albertz die Kanzlei gegründet, den man insgeheim nur als ›der Chef‹ bezeichnete und dabei die Stimme dämpfte. ›Solange Sie mich vertreten, Blum, sind Sie der Chef‹, hatte er beim Abschied mit einem Augenzwinkern gesagt, ›also machen Sie es sich in meinem Zimmer bequem.‹ Er nannte ihn Blum, nur Blum, ohne weitere Anrede, und Leo hielt sich immer daran fest, was der Chef tun oder sagen würde.
    Obwohl Leo schon fast ein Jahr für Dr. Albertz arbeitete, hatte er noch immer kein eigenes Büro. Er saß in der großen Kanzleibibliothek, die das Chefzimmer vom Foyer trennte und gleichzeitig für Besprechungen diente. Deshalb konnte sich Leo nicht einmal einen festen Arbeitsbereich einrichten, und flüchtete während dieser endlosen Unterredungen mit seinen wenigen Utensilien in den Serverraum, wo gerade noch Platz für ein Tischchen war. Als Assistent erledigte er alles, was der Chef ihm auftrug, schrieb Gutachten und Schriftsätze, telefonierte mit lästigen Mandanten oder brachte Dr. Albertz‘ Auto zur Garage.
    Zwischen den verhangenen Fenstern des Chefbüros stand eine antike Nussbaumkommode, auf der ein historischer Globus thronte. Die gegenüberliegende Wand wurde von einem alten Safe mit vergoldeten Scharnieren beherrscht, eine kostbare Rarität aus dem Jahre 1903. Noch niemand, nicht einmal Frau Magdalener, hatte den Safe jemals offen gesehen, weshalb sich die wildesten Gerüchte um den verbotenen Schrank rankten.
    Leo war froh, für diesen außergewöhnlichen Mann arbeiten zu dürfen. Der Chef verkörperte alles, was ihm erstrebenswert erschien:
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