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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition)
Autoren: Leonard Bergh
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Selbstbewusstsein, Charme, Charisma. Er war nie um eine Idee, nie um eine Antwort verlegen, sein Instinkt schien ihn niemals zu trügen. Mit dem hatte er sich all das erworben, worum ihn die Leute beneideten: drei prächtige Kinder, eine bildschöne Frau, eine Villa in der Stadt, und sicherlich ein gewaltiges Vermögen. Dr. Albertz war ein grandioser Anwalt, ein Mann auf der Sonnenseite des Lebens! Dem Chef schien einfach alles zu gelingen, und selbst Leo fühlte sich in seiner Gegenwart stark und unbezwingbar. Vielleicht trug er deshalb immer eine Fotografie mit sich herum, die ihn zusammen mit Dr. Albertz auf seiner ersten Kanzleiweihnachtsfeier zeigte.
    Leo stand auf. Er versuchte, sich zu konzentrieren. ›Guten Tag, mein Name ist Leo Blum, Rechtsanwalt, ich vertrete Herrn Dr. Albertz.‹ Dazu ein Siegerlächeln und immer in die Augen schauen. Leo hatte noch nicht viele Mandantengespräche geführt. ›Disziplin‹, sagte der Chef, ›es ist alles eine Frage der Disziplin, Blum. Disziplin und Bildung machen uns frei!‹ Anstrengendes Theater für einen, der die wenigen Chancen in seinem Leben verpasst hatte. Er hätte sogar sein Bewerbungsgespräch bei Dr. Albertz versaut, wäre er nicht vor der Kanzleitür der jungen Anwaltsgehilfin mit der atemberaubenden Figur begegnet und ihr einfach nachgelaufen. Dabei war er gut in seinem Job und glaubte, dass kein anderer Beruf besser zu ihm passte. Als Rechtsanwalt konnte er beobachten, ohne selbst etwas unternehmen zu müssen. Dr. Albertz sagte, Anwälte seien die letzten Privilegierten, weil Sie fürstlich dafür bezahlt würden, ihre Nase in Dinge zu stecken, von denen Sie keine Ahnung hätten. Er durchschaute Leo von Anfang an. ›Blum, wie viele Figuren sind in ihnen?‹, fragte er einmal. ›Sie müssen sich entscheiden, für eine Figur meine ich, sonst wird das nichts.‹
    »Sind Sie jetzt soweit, Leo? Der Herr ist ungeduldig.« Frau Magdalener war wieder im Türrahmen erschienen.
    Leo sah sie hilflos an. Der Schreibtisch war so leer wie vorher.
    »Wer ist der Mann?«
    »Ich weiß nicht genau, ich habe ihn noch nie gesehen. Irgend ein Dr. Ernst, glaube ich, wegen eines Vermächtnisses. Soll ich ihn noch mal fragen?«
    »Nein, ist schon gut. Ich komme. Wie sehe ich aus?« Leo zog die Krawatte zurecht und grinste. Frau Magdalener nickte lächelnd.
    Im Wartebereich des mit weißem Marmor ausgelegten Foyers saß ein alter Mann. In der einen Hand hielt er einen großen braunen Umschlag, in der anderen einen Hut. Sein nackenlanges weißes Haar klebte an der Stirn, er war unrasiert und hatte Ringe unter den Augen. Beim Nähertreten stieg Leo ein beißend süßlicher Geruch in die Nase.
    »Guten Tag, mein Name ist Leo Blum, Rechtsanwalt, was — »
    »Sie sind nicht Dr. Albertz! Ich muss zu Dr. Albertz, schnell!«
    »Herr Rechtsanwalt Dr. Albertz ist heute wegen einer unaufschiebbaren Angelegenheit überraschend auswärts, ich vertrete ihn.« — ›Disziplin Leo, Disziplin‹.
    »Aber er muss doch schon hier sein! Wir haben uns gestern verabredet.«
    »Ich bedaure, nein. Aber selbstverständlich bin ich Ihnen gerne dienlich.«
    Da geschah es wieder, Leo hörte sich mit dieser festen Stimme sprechen, die einem anderen zu gehören schien.
    »Kommen Sie, lassen Sie uns Ihre Angelegenheit unter vier Augen besprechen.«
    Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die beiden Sekretärinnen, die an der Empfangstheke standen und herüber gafften.
    »Gerne nach Ihnen, Herr Dr. Ernst«, sagte Leo an der Tür zum Chefbüro.
    »Spohr, Professor Dr. Ernst Adeodatus Spohr!«
    Leo biss sich auf die Lippen und verfluchte Frau Magdalener innerlich. Schnell ging er ins Büro, bat er den Professor sich zu setzen und ließ sich selbst in den Chefsessel fallen, wo er die Ausgangsstellung einnahm, wie er es nannte. Nach vorn beugen und beide Ellbogen auf der Tischplatte abstützen.
    »Nun, Herr Professor Spohr«, sagte er dann gedehnt, »was kann ich für Sie tun?«
    Er hatte diesen ganzen Ablauf von Dr. Albertz abgeschaut und sogar vor dem Spiegel geübt, die Fingerkuppen aufeinander zu legen und nach dem Wort ›tun‹ die beiden Zeigefingerspitzen zum Mund zu führen, um dann den Kopf zu senken und das Gegenüber über den Brillenrand hinweg zu fixieren. Der Professor wirkte viel ruhiger als vorher. ›Es funktioniert‹, dachte Leo und entspannte sich.
    »Nur Dr. Albertz kennt mich, kennt meinen Fall. Aber das spielt nun keine Rolle mehr.«
    Der Professor sackte im Stuhl zusammen. Leo wurde
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