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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition)
Autoren: Leonard Bergh
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Der Mann verstummte. Er war mittelgroß, noch keine sechzig Jahre und elegant gekleidet. Eine dunkle Hornbrille unterstrich seine Augen, sein dichtes graues Haar ließ ihn bedeutungsvoll erscheinen. Für einen kurzen Moment trafen sich die Blicke. Dann ging der Professor auf Pater Donatus zu, dem ein Lächeln über das Gesicht huschte. Vorn am Altar öffnete er den Mantel und zog das Buch heraus.
    »Bruder«, sagte Pater Donatus gedehnt, »ist es das, worum ich dich gebeten habe?«
    »Du wirst zufrieden sein, wirklich!«, flüsterte der Professor.
    Als er ihm das Buch hinstreckte, fügte er hinzu: »Bruder.«
    Pater Donatus schob es hastig unter seine Kutte.
    »Das ist Professor Spohr, der gekommen ist, sich uns anzuschließen.«
    Er nahm Schale und Kelch vom Altar, trat vor den Professor hin, nachdem dieser am Rand des vordersten Tisches Platz genommen hatte, gab ihm Brot und goss den verwandelten Wein in den Becher. Der Professor leerte ihn in einem Zug.
    »Wir werden ihre Entscheidung erwarten«, sagte Pater Donatus, als er zum Altar zurückgekehrt war, wobei er sich dem eleganten Herrn zuwandte. »Aber ich glaube fest daran, dass Sie sich unserer Sache anschließen.«
    Die jungen Männer in der Krypta brummten zustimmend.
    »So sei es«, sagte einer im Dunkeln.
    Der Professor verbarg den Becher unbemerkt in seiner Manteltasche.
    »Wir sind die Kirche der Märtyrer«, hob Pater Donatus an. »Donatus der Große, der Begründer unserer Kirche, erlegte uns Standhaftigkeit auf. Dank sei dir, Gott, unser Vater, dass du uns den Weg gewiesen hast. Das Martyrium werden wir auf uns nehmen, gleich wohin es uns führt, wenn alle Worte gesprochen sind. Lasset uns nun zur Stärkung unseres Glaubens aus dem Buch der Märtyrer lesen, und beten wie Mâr Jakob, der Zerschnittene, vor seiner Himmelfahrt.«
    »Der Zerschnittene!«
    Die Stimme des Professors hallte von der gewölbten Decke wider. Er lachte schrill, sprang auf und rannte zum Ausgang. Dabei stieß er gegen eine Holzbank, stolperte und fing sich an den Knien des eleganten Mannes. Der griff nach seiner Hand, um ihn zu stützen.
    »Hilf mir!«, stieß der Professor hervor.
    Einen Augenblick zögerte der Mann, ehe er die Hand wegzog. Der Professor raffte sich auf und floh hinaus.
    Die jungen Männer redeten aufgeregt durcheinander.
    »Folge ihm!«, befahl Pater Donatus einem der Jungen, der sich sofort erhob und dem Professor nachging.
    Dann gebot er mit einer einzigen Geste Schweigen und begann ruhig, als sei nichts geschehen, sein Gebet.
    Der Professor hörte hinter sich das Dröhnen der Schritte im Wasser. Hastig stieg er die Treppe empor, durchquerte die Nassauer Kapelle und rannte den Gang zur Ostkrypta zurück.
    »Aufmachen, aufmachen!«, brüllte er an der verschlossenen Gittertür.
    Seine Stimme überschlug sich. Er rüttelte an den Stäben. Doch vergebens, er war gefangen. Vom Ende des Ganges her kam sein Verfolger auf ihn zu. Auf halbem Weg blieb er stehen, ballte die Fäuste.
    »Nein, nicht so!« Professor Spohr vergrub sein Gesicht.
    Doch er sah ihn kommen, durch die Finger hindurch. Noch zehn Schritte, zehn Atemzüge und er würde bei ihm sein. Er warf sich gegen die Tür. Das Eisen klirrte. Schon streckte sich die Hand nach ihm aus. Doch sie griff ins Leere. Der Professor fiel nach hinten durch die Tür zu Boden. Der Domaufseher hatte sie gerade aufgeschlossen und beugte sich verwundert über den Gefallenen.
    »Lassen Sie mich! Um Gottes Willen, lassen Sie mich gehen!«, schrie der Professor.
    Auf allen Vieren kroch er die Treppe zum Kirchenraum hinauf.
    Kaum einen Augenblick später trat der junge Mann aus dem Gang. Er legte dem Domaufseher die Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf. Dann folgte er dem Professor.
     
Das Irrlicht
Nicht nur die Erklärung der Welt durch Götter, sondern auch der Streit um den rechten Glauben ist so alt wie die Menschheit selbst. In vielen Epen und Mysterien wird von Schutzgöttern erzählt, denen die Menschen sich anvertrauten. Streitigkeiten und Kriege waren immer auch symbolische Kämpfe dieser Schutzgötter. Der Gott des Stärkeren war der bessere Gott, die Verehrung des siegreichen Schutzgottes der überlegene Ritus und damit der richtige Glaube.
Nirgendwo ist die vermeintliche Überlegenheit der Rechtgläubigen radikaler formuliert, als im Alten Testament. Kein Gott hat sich mehr für sein Volk eingesetzt, keiner war unerbittlicher und grausamer in der Vernichtung der Feinde seines Volkes, als der Gott Jahwe.
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