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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition)
Autoren: Leonard Bergh
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er sich an die Brust, um sich zu vergewissern, dass das Buch dort wirklich gut verborgen war. Am Hutrand sammelte sich kalter Schweiß. Neben dem Ausgang lehnte der Hausmeister an einem Schaukasten und unterhielt sich mit dem Mitarbeiter des Schließdienstes. Der alte Mann sah sein Spiegelbild im dunklen Glas hinter der Kasse. Es schien, als gehe er sich selbst entgegen.
    »Gute Nacht«, sagte er, als er an den beiden Männern vorbeiging.
    »Gute Nacht, Herr Professor Spohr.«
    Der Hausmeister deutete eine Verbeugung an.
    Draußen, zwischen den mächtigen Bronzetafeln, empfing ihn kühle Abendluft, die innere Glut ließ nach. Umständlich schlug er den Mantelkragen hoch, schaute sich um und atmete auf.
    Gegenüber stand der gewaltige Kaiserdom. Die Menge auf dem Liebfrauenplatz ließ ihn zögern. In einem seltsamen Zickzackweg durchdrang er das Labyrinth aus Menschen, weil er niemanden berühren wollte. Von der gegenüberliegenden Seite des Domplatzes kamen lärmende Jugendliche auf ihn zu. Sie aßen Pfannenpizza und tranken Dosenbier. Es war zu spät. Der Professor stieß mit einem Jungen zusammen und der fettige Fladen wurde auf seinem Mantel zerdrückt.
    »Unrein, unrein!«, murmelte der Professor.
    Die Jugendlichen johlten. Nur einen Augenblick sah er auf. Das Lachen erstarb.
    Beim Willigisportal mühte er sich in das Seitenschiff durch den Strom der Leute, die nach draußen wollten. Er nahm den Hut vom Kopf und schüttelte das weiße, nackenlange Haar.
    »Der Dom schließt jetzt!«
    Ein kleiner untersetzter Mann mit vergilbtem Haar und Hornbrille stellte sich dem Professor auf halbem Weg zum Ostchor entgegen.
    »Es ist nicht zu fassen«, redete er weiter, »man wird bald Überwachungskameras aufstellen müssen. Nichts mehr ist den jungen Leuten heilig. Gerade habe ich eine ganze Horde hinausgeworfen.«
    Man sah ihm seinen Ärger an, ein Ärger, der sich über viele Jahre aufgestaut hatte und dem er bei jeder Gelegenheit Luft verschaffen musste.
    »Kommen Sie morgen wieder, um acht Uhr dreißig ist Messe.«
    »Was reden Sie denn? Lassen Sie mich durch, ich bin eingeladen worden.«, fuhr ihn der Professor an.
    »Was sagen Sie da?«
    »Lassen Sie mich vorbei! Ich habe keine Zeit!«
    »Sie sind eingeladen? Hier in der Kirche?«
    »In der Kapelle!«
    »Warum sagen Sie das nicht gleich? Erlauben Sie, dass ich voraus gehe.«
    Der Professor folgte ihm zu der Statue der schwebenden Christusfigur am Ende des Seitenschiffes, vor der ein ewiges Licht rot schimmerte. Sie gingen die Stufen zur Ostkrypta hinab. Der Domaufseher schloss die Gittertür auf, die einen schmalen Gang versperrte.
    »Sie kennen den Weg?«, fragte er, wobei er zurück trat, um den Professor vorbei zu lassen.
    Der Professor hörte, wie die Gittertür verschlossen wurde. Er drehte sich um und sah den Aufseher auf der anderen Seite lächeln. Am Ende des Ganges wurde ein Sarkophag unter einem Baldachin aus Sandstein sichtbar. Die lebensgroße Steinfigur schien auf dem Deckel zu schlafen. Professor Spohr war in der Nassauer Kapelle. Er ging um den Baldachin herum, ohne den Blick von dem Sarkophag abzuwenden, und blieb vor einer vergitterten Öffnung in der Wand stehen.
    Man hatte ihm doch Nassauer Kapelle gesagt! Warum war niemand hier? Plötzlich glaubte er, ein dumpfes Geräusch zu hören. Er war sich nicht sicher und starrte auf den steinernen Leichnam. Unmöglich! Im Zurückweichen stieß er an das Gitter in der Wand, das seinem Gewicht nachgab. Es war gar nicht fest mit der Mauer verbunden, es war eine geheime Tür und dahinter führten Stufen in ein finsteres Nichts. Er würde sich bücken müssen, um hinunter zu steigen. Doch er zögerte nicht. Professor Spohr ging in das Fundament der Kirche.
    Nach der letzten Stufe trat er in eine knöcheltiefe Pfütze auf dem schmierigen Boden. Das Wasser lief eiskalt in seine Schuhe. Sollte er nicht besser umkehren? Dann hörte er wieder Geräusche. Kein Zweifel, sie kamen vom Ende dieses Ganges. Nach etwa fünfzig Schritten sah der Professor einen Lichtschein und erkannte Stimmen.
    »Wir erwarten nicht, dass Sie sich sofort entscheiden«, hörte er Pater Donatus sagen.
    »Verstehen Sie mich nicht falsch«, antwortete jemand. »ich hätte niemals für möglich gehalten, dass die Kirche der Märtyrer noch heute besteht und ich verstehe, dass Sie ihren angestammten Platz beanspruchen. Aber —«
    Der Professor hielt den Atem an. Er kannte diese Stimme. Als er die geheime Krypta betrat, nickte er dem Sprechenden zu.
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