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Die Aufrichtigen (German Edition)

Die Aufrichtigen (German Edition)

Titel: Die Aufrichtigen (German Edition)
Autoren: Leonard Bergh
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sie an und zog sich mit einem schmatzenden Geräusch die Latexhandschuhe von den Fingern.
    »Das müssen Sie den Kommissar fragen.«
    »Warum beantwortet niemand meine Fragen? Warum sagt mir keiner, was los ist?«
    »Hören Sie, ich weiß wirklich nichts. Der Kommissar hat sicher gleich Zeit für Sie.«
    »Sie haben doch seinen Hals gesehen, die roten Flecken? Er ist ermordet worden, nicht wahr?«
    Der Beamte warf ihr einen vielsagenden Blick zu. »Man muss die Obduktion abwarten.«
    »Obduktion?«
    »Ihr Vater ist ziemlich sicher erstickt. Aber Tod durch Ersticken kann tausend Ursachen haben. Es kommt bestimmt gleich jemand, der sich um Sie kümmert.«
    Julia sprang auf. Diese Hilflosigkeit machte sie rasend. Ein Polizist an der Treppe versperrte ihr den Weg nach oben.
    »Sie können da nicht rauf, die Spurensicherung ist noch nicht fertig.«
    Sie sah ihn zornig an. Doch der Polizist schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen«, sagte jemand hinter ihr.
    Sie drehte sich um und sah eine groß gewachsene, schlanke Frau, die ihr blondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte.
    »Sind Sie der Kommissar?«, fragte Julia überrascht.
    »Nein, nicht wirklich. Mein Name ist Sophie Kolb, ich bin Anwärterin für den gehobenen Polizeidienst. Wenn alles gut geht, bin ich in zwei Jahren so weit. Sie sind die Tochter des Verstorbenen?«
    Julia nickte.
    »Haben Sie ihren Vater gefunden?«
    Das alles war sie vor einer Stunde schon gefragt worden, ehe man sie aufgefordert hatte, irgendwo zu warten.
    »Sagen Sie mir endlich, was geschehen ist!«
    »Ihr Vater ist wahrscheinlich erwürgt worden. Das sagt jedenfalls der Gerichtsmediziner, weil am Hals Hautschürfungen und Druckstellen sind. Das gibt nicht gerade Anlass zur Hoffnung.«
    Julia sah die Polizistin fassungslos an. Hatte Sie wirklich Hoffnung gesagt?
    »Ich weiß, das ist alles sehr schwer für Sie«, fuhr Sophie fort, »aber Sie sollten sich auf jeden Fall für Fragen zur Verfügung halten.«
    »Was sind das für Leute, die einen alten Professor für Geschichte umbringen?«
    »Wir werden das herausfinden. Ganz bestimmt.«
    Sophie schrieb ihre Handynummer auf einen Zettel.
    »Eine Karte habe ich noch nicht, aber Sie können mich jederzeit anrufen.«
     
     

 
     
     
     
     
     
     
    1. Teil
     
     
    Fast alle Dinge werden mit Blut gereinigt nach dem Gesetz,
    denn ohne Blutvergießen gibt es keine Vergebung.
     
    (Brief des Apostels Paulus an die Hebräer, 9,22)
     

Blauer Montag, 19 Uhr 22; das Buch
    Das dunkle Gewölbe der Krypta flackerte im fahlen Kerzenlicht. Zwanzig junge Männer, noch Knaben beinahe, saßen auf Holzbänken an groben Tischen. Ihre Augen glänzten, während sie mit erhitzten Gesichtern das Christuslied sangen und dabei den Handbewegungen des Paters folgten. Er kehrte ihnen den Rücken zu, seine Arme waren ausgebreitet, wie die des Gekreuzigten auf der Ikone, auf der sein Blick ruhte. Als der Gesang verstummte, herrschte eine Weile Stille. Pater Donatus senkte das schwere Haupt und wandte sich den Anwesenden zu. Sie verneigten sich demütig.
    Er schritt zu dem kleinen Altar aus rohem Stein, auf dem die sieben Kerzen brannten. Dort nahm er das Brot aus der goldenen Schale, brach es und sprach:
    »Dieses ist mein Leib für euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis.«
    Er ging hinunter und gab den jungen Männern den Leib Christi. Zurück am Altar nahm er den Kelch, hob ihn empor und sagte mit singender Stimme:
    »Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blute. Tut dies, so oft ihr ihn trinket, zu meinem Gedächtnis. Denn so oft ihr dieses Brot esset und den Kelch trinket, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er wiederkommt. Wer also unwürdig das Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und Blut des Herrn.«
    Er führte den Kelch zum Mund, ging wieder hinunter und goss jedem etwas vom verwandelten Blut in die Becher aus Ton.
    »Lasst uns miteinander beten.«
    Das Gutenbergmuseum war in bläuliches Dämmerlicht getaucht. Der alte Mann steckte das kleine Buch mit dem verbrauchten Ledereinband unter seinen Mantel und presste den Arm darauf. Er zog den Seidenschal bis dicht unters Kinn, löschte das Licht und öffnete vorsichtig die Tür. Einige Sekunden lauschte er hinaus. Dann ging er auf den Flur, wo er seinen Hut tief ins Gesicht schob. Die Klimageräte surrten. Eilig lief er die Treppen hinab. Unten presste er sich an die Wand und sah im Foyer die leeren Garderobenständer. Noch einmal fasste
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