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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde
Autoren: Eliot Pattison
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getrocknete Scheiße schaufeln, ohne Ärger zu machen.« Buchanan deutete auf einige Unterlagen, die von einer Büroklammer zusammengehalten wurden. »Falls ich genügend Papier hätte, um eine richtige Akte über dich anzulegen, wäre dieser Stapel dreißig Zentimeter dick. Du bist sogar als Versager ein Versager. Wenn ich dich in diesem Augenblick verbannen würde, gäbe es so gut wie keinen Protest. Akzeptiere meine Bedingungen, oder ich lasse dich für vogelfrei erklären. Dann gibt es keine Rückkehr mehr. Du wirst dich nie wieder an der Schulter des alten Mannes ausheulen können. Und du lässt endlich meine Kinder in Ruhe.« Der letzte Satz klang besonders nachdrücklich.
    Hadrian hatte derweil ein Foto gemustert, auf dem ein alter Lastkahn von einem Maultiergespann gezogen wurde. »Ist es das, worum es in Wahrheit geht? Deine Töchter haben mit einer Schlinge hantiert.«
    »Das war nur ein Spiel.«
    »Du und ich haben im Laufe der Jahre eine Menge Kinder beerdigt, Lucas. So fängt es an. Sie gewöhnen sich an die Utensilien, an den Ablauf. Früher sind Kinder den Pfadfindern oder einer Fußballmannschaft beigetreten. In deiner Kolonie schließen sie sich Selbstmordkulten an. Du hast doch sicherlich nicht vergessen, wie der Hals eines kleinen Mädchens aussieht, das sich erhängt hat. Die hervorgequollenen, überraschten Augen, das Lachen, das für immer erstickt wurde. Die Kinder halten nicht in eine schönere Welt Einzug, sondern bloß in unsere Alpträume. Jeder ihrer Grabsteine ist ein Mahnmal unseres Versagens.«
    Buchanan umklammerte die Schachfigur so fest, dass seine Knöchel weiß wurden. »Du bist seit dem Tag, an dem man dich aus dem Rat geworfen und als Schulleiter gefeuert hat, nicht mehr für meine Kinder verantwortlich«, sagte er kalt. »Akzeptiere meine Großmut, oder ich setze noch heute die Papiere auf, um dich verbannen zu lassen. Falls du es zu weit treibst, schicke ich Jonah ebenfalls ins Exil. Ich kann ihm nicht trauen, wenn ich nichts gegen ihn in der Hand habe. Bist du bereit, dich während des Winters um ihn zu kümmern, in irgendeiner Laubhütte in den Camps? Zuerst kommen die Erfrierungen, dann die Frostbeulen. Nach zwei Monaten wird er aussehen, als hätte er die Strahlenkrankheit.«
    Hadrian starrte die kleine Blutlache auf seinem Schuh an. In diesem Moment sehnte er sich fast nach den Camps, wo er in einer verqualmten Hütte sitzen und einem haar- und zahnlosen Barden zuhören würde, der die Rocksongs ihrer Jugend sang. Doch der Gedanke, für immer von Jonah getrennt zu sein, war unerträglich, und der alte Mann könnte nicht mal einen einzigen Wintermonat in den Camps überleben. Hadrian hob den Kopf, sah in Buchanans eisig und erwartungsvoll grinsendes Gesicht und nickte langsam.
    Der Gouverneur setzte sich zufrieden auf seinen Stuhl und nahm einen großen silbernen Ring vom Schreibtisch. Hadrian erkannte ihn wieder. Noch vor einer Stunde hatte der Ring an einem Finger der runzligen Hand in der Senkgrube gesteckt.
    »Wir hätten dieses Gespräch nächste Woche führen können, wenn meine Strafe verbüßt ist«, stellte Hadrian fest, während sein Magen sich zusammenzog. Buchanan konnte derzeit mehr Druck auf ihn ausüben und würde gleich etwas Dringlicheres von ihm verlangen.
    »Ich will, dass die Leiche entfernt wird.«
    Hadrian schloss kurz die Augen. Dann sah er Buchanandurchdringend an. »Dazu benötige ich mehr als eine Schaufel und einen Korb. Sag Kenton, er soll morgen Werkzeug mitbringen. Und einen Sarg, sofern er einen auftreiben kann.« Hinter dem Schreibtisch hing eine Tafel mit der Aufschrift Wir bestehen durch Stärke. So hatte damals während des ersten Wahlkampfs Buchanans politischer Slogan gelautet. Er war zu seiner persönlichen Überzeugung geworden.
    »Du hast mich falsch verstanden.
Noch heute
. Nur du allein. Ich werde Kenton anweisen, dich nach dem Abendessen bis Mitternacht auf freien Fuß zu setzen. Nimm dir aus dem Gefängnisschuppen eine Laterne und das nötige Werkzeug mit.«
    Früher war Hadrian in diesem Büro willkommen gewesen. Früher hatten die beiden Männer einander vertraut. Im Laufe der Jahre hatten sie sich verändert, hatten zu überleben versucht, hatten sich jeder auf eigene Weise bemüht, aus dem Schutt der Welt die Kolonie aufzubauen. Überleben, so hatte Boone gelernt, bedeutete nicht nur Anpassung, sondern Wandlung. Wem das nicht schon früh gelang, der starb. Man musste tausendfach beiseiteschieben, was einen emotional zu
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