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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde
Autoren: Eliot Pattison
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sie in dem Klärschlamm gefunden und in dem Eimer gewaschen, der eigentlich sein Trinkwasser enthielt. Hadrian lehnte sich gegen einen Felsen und begutachtete die Schmuggelware, die Sarah und Dora ihm gebracht hatten. Drei Seiten aus einem Geschichtstext und drei kostbare bunte Landkarten voller Städte, Provinzen und Länder, die heutzutage nur noch in vereinzelten Erinnerungen existierten. Bekümmert schaute er zu manch anderen Blättern, die um ihn herum im getrockneten Schlamm steckten und unrettbar beschädigt waren. Bevor es die neue Papiermühle gegeben hatte, in der alte Bücher recycelt werden konnten, hatte man die Seiten direkt als Toilettenpapier benutzt. Hier im Dreck lagen die letzten Worte toter Dichter und Geschichten ganzer Zivilisationen, deren Namen nie mehr laut ausgesprochen werden würden. Außerdem lagen hier viele nutzlose kleine Gegenstände wie elektrische Uhren, Abspielgeräte für Musik und Haartrockner, denen man alles Metallische herausgerissen und sie dann weggeworfen hatte. Das Ende der Welt fand kein Ende. Das meiste war vor fünfundzwanzig Jahren binnen eines wenige Tage dauernden Alptraums ausgelöscht worden. Der Rest hingegen verging nur ganz langsam, Bruchstück für winziges Bruchstück, so wie hier.
    Hadrian starrte eine der Landkarten an. Sie zeigte den Ostteil der Vereinigten Staaten. Er konnte noch immer Leute benennen, die er in einem Dutzend der Städte gekannt hatte, wenngleich ihre Gesichter nur noch verschwommene Schemenfür ihn waren. Sein Finger berührte einen Städtenamen nach dem anderen, während sein Mund die Worte formte, wie um sie am Leben zu erhalten. »Baltimore«, flüsterte er. »Portland, Washington, Poughkeepsie, Philadelphia …«
    Dann geschahen zwei Dinge nahezu gleichzeitig. Zunächst kam ein wütender Sergeant Kenton mit einer frischen Hickorygerte aus dem Unterholz gestürmt und zeigte auf Hadrians illegalen Schatz, unmittelbar gefolgt von Sarah und ihrer Schwester, die sich ihm in den Weg stellen wollten. Doch der Zorn des Polizisten hatte die Oberhand gewonnen, und er ließ sich nicht länger von den Mädchen einschüchtern. Er wich ihnen aus, erreichte Boone mit zwei großen Schritten und schlug ihm die Gerte quer über das Gesicht, das sofort zu bluten anfing. Hadrian krümmte sich und ließ die Prügel über sich ergehen. Bei jedem einzelnen Hieb zuckte er zusammen, aber Widerstand hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Sein vom Schmerz getrübter Blick fiel auf die Mädchen. Erst nach einem Moment wurde ihm klar, dass die beiden offenbar versuchten, eine Waffe aus dem getrockneten Schlamm zu ziehen, einen dicken Stock.
    Dora, die Achtjährige, zerrte so sehr daran, dass sie zurücktaumelte, als der Stock sich löste. Kenton hielt inne, als würde er darüber nachdenken, ob er der Tochter des Gouverneurs helfen sollte. Dann erhob sich aus dem Boden etwas Grauenhaftes, das durch den Stock unter der Oberfläche gehalten worden war. Dora kreischte auf und kroch auf allen vieren davon. Sarah schrie entsetzt und versteckte sich hinter Hadrian. Ein Arm, ein schwarz verfärbter, runzliger Arm kam aus dem Schlamm zum Vorschein und streckte wie Hilfe suchend die grässlichen Finger aus.
     
    Lucas Buchanan, der Gouverneur von Carthage, trug stets schiefergraue Anzüge. Sie stammten aus der Anfangszeit derKolonie, als man hektisch alle Kaufhäuser und Lager geplündert hatte. Hadrian beobachtete verunsichert, wie der hochgewachsene schlanke Mann von seinem Schreibtisch aufstand und sich das Jackett anzog, bevor er etwas sagte. Das war immer ein schlechtes Zeichen.
    »Wir haben dich nur aus einem einzigen Grund nicht dauerhaft verbannt«, verkündete Buchanan, während er vor dem Fenster seines im ersten Stock gelegenen Büros auf und ab ging. Er schien sich nur mit Mühe beherrschen zu können. »Falls wir heute darüber abstimmen würden, würde der Rat ein wertloses Subjekt wie dich bedenkenlos fallenlassen. Man würde dich in die Camps oder den Wald schicken, wo du dann mit den anderen Ausgestoßenen dahinsiechen müsstest.« Er blieb stehen und rückte eines der vielen sorgfältig ausgewählten Fotos gerade, die an der Wand hingen. Abraham Lincoln und seine Generäle flankierten Theodore Roosevelt, der mit einem toten Büffel posierte. Das Bild eines geschäftigen Hafens mit Rahseglern und Dampfbooten hing über einem von Thomas Edison und seinem frühen Phonographen. Buchanan verfolgte entschlossen das Ziel, die letzten paar Jahrzehnte
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