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Die Ankunft

Die Ankunft

Titel: Die Ankunft
Autoren: Katja Piel
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Plätschern erregte ihre Aufmerksamkeit. Gleichzeitig erreichte ein dünner Geruchsfaden ihre empfindliche Nase. Eine der Bestien verfolgte sie!
    Anna stürzte sich in den schwarzen Wald und rannte.
    Sie hielt erst inne, als sie nicht mehr konnte. Völlig erschöpft brach sie auf einem Moospolster zusammen. Wie von selbst glitt die Wolfsgestalt von ihr ab und ließ sie nackt, schutzlos und zitternd zurück. Dann kamen die Tränen, und sie weinte, bis sie meinte, vor Erschöpfung sterben zu müssen.

    Erstes Tageslicht sickerte durch die Bäume, als sie sich aufsetzte und sich umsah. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Ihr war klar, dass sie für eine lange Zeit nicht zurückkonnte. Wenn sie sich in Imaginas Nähe wagte, würde sie Marcus und sein Rudel anlocken.
    Anna wischte sich mit dem Arm übers Gesicht.
    Heute begann ihr neues Leben. Es hätte mit einem liebevollen Abschied beginnen sollen, mit guten Ratschlägen für die Welt da draußen und dem Versprechen, heute in einem Jahr zurückzukommen. Sie hätte ein widerstandsfähiges Gewand bekommen, ein paar Taler und das Nötigste zum Leben.
    So hatte sie nichts. Sie war nackt und gewaltsam von ihrer Familie getrennt worden.
    Mühsam kam Anna auf die Füße. Ihre Fußsohlen waren wund gelaufen und sie hinkte, als sie weiterging. Die Wölfin hatte vorhin einen schwachen Geruch nach Herdfeuer wahrgenommen, der aus Richtung Westen kam.
    Es stimmte nicht, dass sie nichts hatte. Sie hatte Imaginas Wissen und ihre Erfahrung, ihre Ratschläge und ihre Liebe. Und sie hatte Rosas aufopferungsvolle Tat. Sie musste ein gutes Leben führen, um sich würdig zu erweisen.
    Es begann nur etwas holperig, dieses neue Leben.
    Am Vormittag erreichte sie den Waldrand und sah vor sich in einer Senke ein kleines Dorf liegen. Sie humpelte auf das nächste Haus zu. Dem Mann, der gerade seinen Garten umgrub, blieb der Mund offen stehen, als sie auf ihn zu trat.
    "Ich wurde im Wald von Räubern überfallen", schluchzte sie. "Sie haben mir alles genommen und mir nur mein Leben gelassen! Seid ein guter Christenmensch und helft mir in meiner Not..."

26. Kapitel
    Herbst 2012, Frankfurt am Main
    « Hallo, Aysha. Salam aleikum. »

    Diesmal kam nicht der Bestatter, sondern der Lieferwagen eines Frankfurter Küchenstudios. Früh am nächsten Morgen wurde ich verladen und im rückwärtigen, fensterlosen Teil des Ford Transit durch die Gegend geschaukelt. Der Abschied von Katja war kurz, aber herzlich ausgefallen, und sie hatte mir ein baldiges Wiedersehen versprochen.
    Ich kannte die Frankfurter Gegend nicht, in der meine Fahrt zu Ende war. Hohe, schmutzige Häuser, kein Fleckchen Grün. Mein Begleiter, stilvoll in der roten Latzhose des Küchenstudios, führte mich an einer Reihe überquellender Mülltonnen vorbei zum Eingangsbereich eines Plattenbaus. Er klingelte bei Scherer und wartete.
    "Küchenstudio Roland", trompetete er fröhlich auf die gekrächzte Frage aus der Gegensprechanlage. Der Türöffner summte, und wir traten ein.
    Mit dem Lift, in dem alte Kochdünste hingen, rumpelten wir bis in den zwölften Stock. Dort empfing mich eine vertraute Gestalt an einer Wohnungstür: Andreas Koch.
    "Kommen Sie rein", sagte er und schob mich ins Innere. Während er einige Worte mit dem Latzhosenmann wechselte, sah ich mich um. Die Wohnung war winzig und nur mit dem Nötigsten möbliert. Eine weitere Frau war anwesend, die gerade an einem Tisch eine Menge Schönheitsutensilien auspackte: Schminke, Schere, Tuben und Flaschen.
    "Hi", sagte sie und lächelte ansteckend. "Ich bin Lisa. Ich hoffe, du hängst nicht an deinen Haaren?"
    "Wie soll ich das verstehen?"
    "Wir werden dich komplett umstylen. Wenn du rausgehst, darf niemand dich erkennen."
    "Gehe ich denn raus?"
    "Andreas erklärt dir gleich alles Nötige. Die Idee ist, dass du dich nicht mehr an einem Ort versteckst, sondern ständig wechselst. Das wird es schwieriger machen, dich aufzuspüren."
    Ein wenig erschlagen ließ ich mich auf einen Stuhl plumpsen. Mehr als alles wünschte ich mir, wieder selbst über mein Leben bestimmen zu können.
    Es dauerte ein paar Stunden, dann war von der alten, blonden Anna nichts mehr übrig. Meine Wallemähne fiel der Schere zum Opfer und wurde durch einen frechen, wuscheligen Kurzhaarschnitt ersetzt. Während Selbstbräuner in meine Haut einzog, färbte Lisa meine Haare dunkelbraun und vergaß dabei auch Wimpern und Augenbrauen nicht. In einem Döschen bewahrte sie dunkle Kontaktlinsen auf und zeigte mir, wie
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