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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
Autoren: Jeannette Walls
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mit den Fingern und klatschten und riefen »Gut gemacht!« und »Den Mistkerl seid ihr los!«. Als wir weiterfuhren, sahen wir den Perversling durchs Fenster. Er stampfte tatsächlich vor Wut mit dem Fuß auf.
     
    Als wir schließlich sicher in dem Bus Richtung Osten saßen – der Perversling war nicht eingestiegen –, gingen wir noch mal genüsslich durch, wie wir den Perversling nicht bloß ausgetrickst, sondern ihn noch dazu vor einer vollbesetzten Straßenbahn blamiert hatten. Ich dachte, nachdem wir das geschafft hatten, könnten wir mit so ziemlich allem fertigwerden, was das Leben noch bringen würde. Als es dunkel wurde, schlief ich ein, den Kopf an Liz’ Schulter, aber kurz darauf wurde ich noch mal wach, und da hörte ich sie ganz leise weinen.
     
    In Atlanta stiegen wir in den Bus nach Richmond um und in Richmond in den Bus nach Byler. Zum ersten Mal auf der Reise verließen wir die Schnellstraße und rollten über kleinere Landstraßen. Die Landschaft von Virginia war ziemlich hügelig, und so schaukelten wir ständig durch Kurven oder fuhren Berge rauf und runter. Alles war unwahrscheinlich grün. Ich sah leuchtend grüne Maisfelder, dunkelgrüne Berge und goldgrüne Wiesen, gesäumt von tiefgrünen Hecken und lindgrünen Bäumen.
    Nachdem wir drei Stunden lang Richtung Westen gefahren waren, kamen wir am späten Nachmittag in Byler an. Die kleine Stadt schmiegte sich an einen sich schlängelnden Fluss, und dahinter ragten blaue Berge auf. Die Brücke über den Fluss rumpelte unter den Busrädern. In den Straßen der Stadt, an denen zweigeschossige Backsteinhäuser mit verblassten Anstrichen lagen, herrschte Stille, und es gab jede Menge freie Parkplätze. Wir hielten vor dem Busbahnhof, einem Backsteingebäude mit schwarzem Metalldach. Bis dahin hatte ich Metalldächer immer nur auf Bretterbuden gesehen.
    Wir waren die einzigen Fahrgäste, die ausstiegen. Als der Bus weiterfuhr, kam eine Frau mittleren Alters aus dem Bahnhofsgebäude. Sie trug ein rotes Sweatshirt mit einer Bulldogge drauf und hielt einen Schlüsselbund in der Hand. »Wartet ihr auf wen?«, fragte sie.
    »Eigentlich nicht«, sagte Liz. »Sie wissen nicht zufällig, wie man zu Tinsley Holladays Haus kommt, oder?«
    Die Frau musterte Liz plötzlich interessiert. »Mayfield?«, fragte sie. »Das Holladay-Haus? Ihr kennt Tinsley Holladay?«
    »Das ist unser Onkel«, sagte ich.
    Liz warf mir einen Blick zu, der mich beschwor, ihr das Reden zu überlassen.
    »Ich glaub’s nicht. Ihr seid Charlottes Mädchen?«
    »Genau«, sagte Liz.
    »Wo ist denn eure Momma?«
    »Wir kommen allein zu Besuch«, sagte Liz.
    Die Frau schloss die Tür zum Busbahnhof ab. »Bis Mayfield ist es eine ganz schöne Ecke«, sagte sie. »Ich fahr euch hin.«
    Die Frau war offensichtlich nicht pervers oder so, also luden wir die Koffer hinten auf ihren verbeulten Pick-up und stiegen ein. »Charlotte Holladay«, sagte die Frau. »Die war in der Schule eine Klasse über mir.«
    Wir fuhren raus aus der Stadt und aufs Land. Die Frau versuchte, mehr über Mom zu erfahren, aber Liz blieb ausweichend, also fing die Frau an, von Mayfield zu erzählen. Sie sagte, vor zwanzig Jahren wäre dort immer was los gewesen – Austern-Barbecues, Weihnachtspartys, Tanzabende, nächtliche Ausritte, Maskenbälle, wo alle Kostüme aus der Zeit des Bürgerkriegs trugen. »Damals waren alle ganz wild darauf, eine Einladung zu ergattern«, sagte sie. »Wir Mädchen hätten Gott weiß was dafür gegeben, Charlotte Holladay zu sein. Sie hatte einfach alles.« Die Frau nickte vor sich hin.
    Einige Meilen außerhalb der Stadt stand eine kleine weiße Kirche umringt von hohen Bäumen und ein paar alten Häusern – manche groß und nobel, manche ziemlich runtergekommen. Wir fuhren an der Kirche vorbei und kamen zu einer niedrigen Steinmauer, mit einem schmiedeeisernen Tor zwischen dicken Steinpfeilern. In einen der Pfeiler war das Wort MAYFIELD gemeißelt.
    Die Frau hielt an. »Charlotte Holladay«, sagte sie noch mal. »Wenn ihr eure Momma seht, bestellt ihr einen schönen Gruß von Tammy Elbert.«
    Das Tor war abgeschlossen, also stiegen wir über die niedrige Steinmauer und folgten der Kieseinfahrt einen Hang hinauf und um ein dichtes Wäldchen herum. Oben auf dem Hügel stand das Haus, drei Stockwerke hoch, weiß gestrichen, mit einem dunkelgrünen Metalldach und schätzungsweise zwanzig gemauerten Schornsteinen. Sechs dicke weiße Säulen stützten das Dach der langen Veranda, auf die
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