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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
Autoren: Jeannette Walls
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Mom noch ein Kind war. Inzwischen hatte sich vieles verändert, und ich dachte mir, dass das auch für Byler galt.
    Nachdem wir das Licht ausgemacht hatten, lagen Liz und ich nebeneinander im Bett. Solange ich zurückdenken konnte, hatte ich mir mit Liz das Bett geteilt. Das fing an, nachdem wir Virginia verlassen hatten, als ich noch ein Baby war und Mom feststellte, dass ich zu weinen aufhörte, wenn sie mich zu Liz ins Bett legte. Später dann lebten wir manchmal längere Zeit in Motels mit nur zwei Betten oder in möblierten Apartments mit einem Klappbett. In Lost Lake war unser gemeinsames Bett so schmal, dass wir nur aneinandergeschmiegt auf der Seite liegen konnten, weil wir uns sonst dauernd die Decke wegzogen. Wenn mein Arm allmählich taub wurde, stupste ich Liz sachte an, sogar im Schlaf, und wir drehten uns gleichzeitig auf die andere Seite. Die meisten Kinder hatten eigene Betten, und manch einer hätte es vielleicht seltsam gefunden, mit der eigenen Schwester in einem Bett zu schlafen – ganz abgesehen davon, dass es eng war –, aber ich fand das schön. Man fühlte sich nachts nie einsam, und man hatte immer jemanden zum Reden. Genau genommen waren das die besten Gespräche, wenn wir wie zwei Löffelchen in der Dunkelheit lagen und uns mit gedämpfter Stimme unterhielten.
    »Meinst du, Virginia wird uns gefallen?«, fragte ich.
    »Du wirst es mögen, Bean.«
    »Mom hat’s gehasst.«
    »Mom hat an jedem Ort, wo wir gewohnt haben, was zu meckern gehabt.«
     
    Ich schlief schnell ein, wie meistens. Als ich die Augen wieder aufschlug, war es noch dunkel, aber ich fühlte mich hellwach und ausgeruht, so wie man sich fühlt, wenn man aus dem Bett springt und in die Gänge kommen muss, weil man einen wichtigen Tag vor sich hat und keine Zeit verlieren darf.
    Liz war schon auf. Sie machte das Licht an und setzte sich an den Küchentisch. »Wir müssen Mom einen Brief schreiben«, sagte sie.
    Während ich unsere Hühnerpastetchen warm machte und den letzten Rest Orangensaft in Gläser goss, arbeitete Liz an dem Brief. Sie müsse ihn so schreiben, dass Mom ihn verstehen würde, aber sonst keiner, sagte sie.
    Der Brief war typisch Liz.
    Liebe Herzkönigin,
    aufgrund des plötzlichen Auftretens von Fliegelflageln in der näheren Nachbarschaft hielten wir es für ratsam, die Örtlichkeiten zu verlassen, um dem verrückten Hutmacher Tinsley und Martha, der Haselmaus, einen Besuch abzustatten. Wir warten hinter den Spiegeln auf Dich, im alten Spukschloss Deiner Spukgeschichten, dem Gefilde der Fusselköpfe, wo Bean geboren wurde und die Pluckerwank gar elump sind.
     
    Gruß und Kuss
    Zwiddeldum und Zwiddeldei
    Wir legten den Brief auf den Küchentisch und beschwerten ihn mit der dunkelblau glasierten Tasse, die Mom gemacht hatte, als sie in ihrer Töpfer-Phase war.

4
    A ls der Bus am Bahnhof hielt, stiegen zwei Leute aus, und wir konnten uns ihre spitzenmäßigen Sitzplätze gleich vorne rechts schnappen, wo man besser sehen konnte als auf der linken Seite hinter dem Fahrer. Liz ließ mich ans Fenster, und ich hielt Fido in seiner runden Tupperdose auf dem Schoß. Wir hatten ein bisschen Wasser reingetan und eine umgedrehte Untertasse, auf der er sitzen konnte, und wir hatten Löcher in den Deckel gestanzt, damit er Luft bekam.
    Als wir abfuhren, schaute ich aus dem Fenster, weil ich irgendwie hoffte, dass Mom doch noch rechtzeitig zurückgekehrt war und gleich die Straße runtergerannt kommen würde, ehe wir in unbekannte Fernen davonrollten. Aber die Straße blieb leer.
    Der Bus war voll, und weil ja jeder der Fahrgäste seine Reise aus irgendeinem Grund machte, spielten wir
Welche Geschichte steckt dahinter?
Das war noch so ein Spiel, das Liz sich ausgedacht hatte. Wir versuchten zu erraten, wohin die anderen fuhren und warum, ob sie glücklich oder ängstlich waren, ob sie ein wunderbares Ziel hatten oder vor irgendwelchen Gefahren oder Pleiten flüchteten, ob sie jemanden besuchen wollten oder ihr Zuhause für immer verließen. Bei manchen war es leicht. Der junge Soldat, der den Kopf auf seinen Seesack gelegt hatte und schlief, war auf Heimaturlaub und unterwegs zu Familie und Freundin auf dem Land. Die zarte Frau mit der kleinen Tochter sah gehetzt aus und hatte eine Hand in Gips. Liz vermutete, dass sie auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann war. Ein dünner Typ in einer karierten Jacke, der sich das strähnige Haar hinter die Segelohren gestrichen hatte, saß auf der anderen Seite des Gangs
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