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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks
Autoren: Seré Prince Halverson
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letztes Kind.« Sie sagte nichts weiter, und wir lauschten den Maschinen. Schließlich fuhr sie fort: »Meine Mutter hatte tagelang schlimme Wehen, und am Ende machten sie dann doch einen Kaiserschnitt. Das weiß ich von Tante Bernie, sie hat die Einzelteile für mich zusammengefügt. Ich hatte als Baby Koliken.« Sie betrachtete ihre Hände. »Mein Vater war Vertreter und viel unterwegs. Als ich ungefähr drei Monate alt war, hat er … er hat es Tante Bernie erzählt. Dass er meine Mutter gebeten hatte, seine Hemden zu bügeln. Und dass sie sich in letzter Zeit seltsam benommen hatte und er dachte, es würde ihr helfen, wenn sie etwas zu tun hatte. Außerdem brauchte er die Hemden wirklich.« Sie sah mich an. »Wollen Sie das wirklich hören? Es ist keine schöne Geschichte.«
    Ich sagte ja, ich wolle es hören. Ich wollte es wissen.
    Sie fuhr fort. »Als er an dem Abend nach Hause kam, hingen alle seine Hemden gebügelt im Schrank.« Sie hielt inne, sah mich wieder an, dann Zach.
    »Bitte, Paige.«
    Ihre zittrige Stimme war jetzt so leise, dass ich mich zu ihr vorbeugen musste. »Auch meine Mutter hing im Schrank. Ich lag im Korbwagen auf dem Bauch, neben dem Bügelbrett, konnte weder schreien noch mich bewegen. Das noch warme Bügeleisen lag am Boden.« Sie suchte meinen Blick, dann sah sie wieder auf ihre Hände, die jetzt beide auf Zach ruhten. »Im Polizeibericht stand: ›Das Bügeleisen war mit einer schwarzen Substanz überzogen, die sich später als die Haut des Opfers erwies.‹ Der Mann, der mein Vater war, nahm mich im Korbwagen mit ins Krankenhaus. Er hatte Angst, der Schmerz würde mich töten, wenn er mich berührt oder hält. Dann ging er. Er rief Tante Bernie an und erzählte ihr alles. Er weinte und sagte, es täte ihm leid. Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört.«
    Uns beiden liefen jetzt Tränen übers Gesicht, unsere Nasen trieften, und als Paige wieder Papiertücher aus der Tasche zog und mir ein paar reichte, entfloh uns ein kurzes, verlegenes Lachen. »Wie Sie … wie du siehst, hatte Joe guten Grund, Angst zu haben.«
    »Und … du hattest auch Angst.«
    Sie nickte, und als sie dann weitersprach, war ihre Stimme leise und angespannt. »Es war anders als bei meiner Mutter, aber als ich krank wurde, hatte ich Angst, genauso zu werden. Und als er dann meine Briefe nicht beantwortete … Ich wusste ja nicht, was er den Kindern erzählt hatte. Ob er ihnen vielleicht gesagt hatte, ich sei tot, weil das leichter für ihn war. Deshalb hatte ich Angst, einfach aufzutauchen und sie noch mehr durcheinanderzubringen.«
    Ich nickte. »Aber trotzdem …«
    »Ja, trotzdem. Er und ich, wir hätten besser damit umgehen können.«
    »Und ich auch. Ich hätte besser damit umgehen können.« Ich griff in meine Handtasche, holte die Briefe heraus und gab sie ihr.
    Paige erkannte sie sofort. Sie bedeckte ihr Gesicht damit, und dann beugten wir uns über Zach hinweg vor und schlossen uns in die Arme, nicht zögernd oder argwöhnisch, wie bei der ersten Begegnung am Tag der Beerdigung, sondern aus vollem Herzen. Wir hielten einander schluchzend fest, klammerten uns aneinander und an Zach wie an einen Felsen.
    Schließlich lösten wir uns voneinander, putzten uns die Nase, atmeten lang und ruckartig ein und aus. Als ich meine Hand um Zachs geschwollenen Finger legte, dachte ich an jenen Morgen zurück, als er und Annie und ich Schiff spielten, wie er ins Bett gehüpft kam und das Laken über den Kopf zog, noch nicht wusste, dass sein Daddy tot war. Und ich stellte mir vor, wie er in einem Paralleluniversum auf Joes Schoß saß, und schweigend flehte ich Joe an, Zach zu sagen, dass es Zeit war, zu uns zurückzukommen, dass ich ihn brauchte, und Paige auch.

37. Kapitel
    Als der Morgen anbrach, beobachteten wir voller Staunen, wie Zachs Puls und der Sauerstoffgehalt in seinem Blut stetig anstiegen, seine Haut mit der Morgendämmerung rosa wurde und er die Augen aufschlug. Er fuchtelte mit den Armen, wollte sich den Beatmungsschlauch herausziehen, doch Paige und ich redeten beruhigend auf ihn ein, während die Ärzte herbeigeeilt kamen und ihn von dem Schlauch im Hals befreiten. Er lächelte. Er sprach; er beschwerte sich, dass sein Hals weh tat. Er sagte »Mommy«. Er sagte »Mama«.
    »Ich möchte ihn noch für ein, zwei Tage hierbehalten und beobachten«, erklärte Dr. Markowitz. »Er scheint wieder vollkommen genesen zu sein, doch hinsichtlich gewisser Hirnschädigungen gibt es Dinge, die wir erst in ein paar
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