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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks
Autoren: Seré Prince Halverson
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Ich sagte: »Sie sind mit ihm durch die Tür dort. Ich weiß nichts.«
    Sie sank auf einen Stuhl, sagte: »Ich dachte … das Tor … wär verschlossen.«
    Ich sagte: »Ich weiß, ich weiß. Ich hätte nicht kommen dürfen. Ich hätte ihm die albernen Schwimmflügel nicht kaufen dürfen. O Gott. Oder das alberne Dreirad. Er hatte immer wieder gesagt, dass er ins Wasser fahren wollte, um Joe zu sehen …«
    Eine Ärztin kam. Sie war jung, mit kurzen schwarzen Haaren und einer modisch-schwarzen Brille. Sie sagte: »Wer ist die Mutter?« Wir standen beide auf, murmelten: »Ich, wir.«
    Sie schüttelte uns die Hand. »Ich bin Dr. Markowitz.« Sie sah Paige an, dann mich. »Es wird ein langer Tag für Sie und Zach werden«, sagte sie. »Aber er hat vieles auf seiner Seite: schnelle Wiederbelebungsmaßnahmen, schneller Rettungsdienst vor Ort. Wir nennen die erste Stunde die Goldene Stunde, und seine verläuft gut. Sie haben ihn schnell herbringen können, doch seine Atemfrequenz ist sehr niedrig, selbst für ein Kind. Das Beatmungsgerät wird helfen. Wir checken seine Blutgase, Pupillenreaktion. Wir machen eine Computertomographie, um die Gehirnaktivität zu überprüfen …«
    »Wird er es schaffen … wird er gesund?« Nur Paiges letztes Wort ging am Ende fragend hoch.
    »In den nächsten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden werden wir viel erfahren. Wir schließen jetzt noch die Untersuchungen ab, dann können Sie ihn sehen.«

    Bernie kam. Sie holte Annie ab, um außerhalb des Krankenhauses etwas zu essen zu kaufen, und bot sogar an, in mein Apartment zu fahren und mit Callie um den Block zu gehen. Ich dankte ihr und gab ihr die Schlüssel. Annie ging bereitwillig mit, vergrub auf dem Weg den Flur entlang den Kopf in Tante Bernies Seite.
    Als wir zu Zach durften, blieben wir beide in der Tür stehen, bevor wir ans Bett traten. Wir brauchten einen Moment, um uns klarzumachen, dass dieser bläulich angeschwollene kleine Junge wirklich Zach war. Wo vorher die Sanitäter mit flinken Armen und Beinen alles getan hatten, um ihn am Leben zu halten, und sich Zahlen und Buchstaben zugerufen hatten, hingen jetzt überall blaue Schläuche, kamen aus Nase, Hals, Arm und Brust, und Zachs Vitalparameter blinkten und piepten auf digitalen Monitoren. Paige nahm seine Hand, und ich nahm die andere. In dem Moment, als wir beide seine Hand hielten, wurde mir klar, dass wir beide denselben Mann geliebt und verloren hatten. Wir beide liebten dieselben Kinder und hatten sie verloren. Wir hatten beide den Halt verloren, die Orientierung, uns selbst. Wir hatten beide am Boden gelegen, nur um herauszufinden, dass auch dieser aus Treibsand bestand. Noch vor Stunden hatten wir wie Schwergewichte an Zach gehangen, die ihn nach unten zogen. Dabei hätte er uns als Rettungsbojen gebraucht.

    Ich sah alles, was ich getan hatte, jede meiner Handlungen und meiner Entscheidungen, wie die Quadrate eines Brettspiels vor mir aufgereiht, als hätte ich uns alle zu diesem Punkt hier geführt, zu dieser Tragödie. Als hätte ich ganz allein die Würfel geworfen, die uns zu diesem Tag hatten vorrücken lassen – mit meiner Entscheidung, in Elbow halt zu machen und mir ein Sandwich zu kaufen. Ich hätte weiterfahren und in Oregon landen können, oder in Seattle, vielleicht auch in einer Blockhütte auf den San Juan Islands, allein an einem Strand voller Treibholz, wo die Untersuchung von Gezeitentümpeln zu meinem Lebensinhalt geworden wäre. Vielleicht würde ich auch in einer Fischzuchtanlage in Alaska arbeiten, weit weg von all den Menschen hier, deren Leben jetzt zerstört war. Alles wäre anders gekommen: Joe hätte Paige mit offenen Armen wiederaufgenommen, sie wären eine Familie geblieben, Paige hätte die Notlage des Ladens gekannt und ihm vor langer Zeit aus der Krise geholfen, und er wäre an jenem Morgen nicht hinaus zum Bodega Head gefahren, um Fotos zu schießen, weil sie gerade Familienurlaub in Disneyland machten oder in einem eigenen Ferienhaus in Tahoe. Ich hätte nicht den albernen Versuch unternommen, Zachs Schmerz über den Verlust von Batman und Robin zu lindern, was ihn – hinsichtlich der Endgültigkeit des Tods durch Ertrinken – letztlich nur verwirrt hatte. Zach wäre nicht mit einem roten Dreirad in einen Swimmingpool in Las Vegas gefahren; er würde noch immer mit seinen Actionfiguren unter dem Sommerflieder spielen. Ich versprach Gott, alles zu tun, wirklich alles, sogar Zach und Annie für immer in Paiges Obhut zu lassen,
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