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Die Alpen

Titel: Die Alpen
Autoren: Albrecht von Haller
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Glieder;
Für seines Gottes Ruhm gilt Meineid und Verrat!
Was Böses ist geschehn, das nicht ein Priester tat? Quantum religio potuit suadere malorum. Lucret.
In stiller Heimlichkeit, umzielt mit engen Schranken,
Herrscht eine zweite Lehr und wohnt in den Gedanken,
Ihr folget, wer allein auf eigne Weisheit baut,
Die Klügern insgeheim und Toren überlaut.
Der Fürst, dem Laster nützt, den Gottesfurcht umschränket,
Der Freigeist, der sich schämt, wann er wie andre denket,
Der Weichling, dem ein Gott zu nah zur Strafe scheint,
Sind, aus verschiednem Grund, doch wider Gott vereint.
Oft deckt der Priester selbst sich mit erlernten Mienen,
Sein Herz verhöhnt den Gott, dem seine Lippen dienen,
Er lächelt, wann das Volk vor Götzen niederfällt,
Die List vergöttert hat und Aberwitz erhält.
Die alle nennen Gott ein Wesen nur in Ohren,
Dem Staat zum Dienst erdacht und mächtig nur für Toren;
Bei ihnen ist kein Zweck, kein Wesensursprung mehr,
Und alles hat das Sein vom blinden Ungefähr.
Hier wird die Seele selbst gemessen und gewogen,
Sie muß ein Uhrwerk sein, für gleich lang aufgezogen,
Als ihr vereinter Leib das, was er würkt, versteht,
Denkt, weil er sich bewegt, und, wann er stirbt, zergeht.
Hier sind die Tugenden, die wir am höchsten preisen,
Nur Namen ohne Kraft und Grillen blöder Weisen,
Die schlauer Stolz erzeugt, Verstellung prächtig macht,
Der leichte Pöbel ehrt und, wer sie kennt, verlacht.
Bei ihnen zeugt die Furcht der Tugend edle Triebe,
Der Menschheit Feder ist für sie die Eigenliebe.
Wer diese Sätze glaubt, ist niemand untertan
Und nimmt nur die Vernunft zu seinem Richter an.
Klug, wann die Wahrheit sich an sichern Zeichen kennte,
Wann nicht das Vorurteil die schärfsten Augen blendte
Und im verwirrten Streit von Not und Ungefähr
Vernunft die Richterin von Wahl und Zweifel wär!
O blinde Richterin! wen soll dein Spruch vergnügen,
Die oft sich selbst betrügt und öfters läßt betrügen?
Wie leicht verfehlst du doch, wenn Neigung dich besticht!
Man glaubet, was man wünscht, das Herz legt ein Gewicht
Den leichtern Gründen bei; es fälscht der Sinne Klarheit;
Die Lüge, die gefällt, ist schöner als die Wahrheit.
Ein weicher Aristipp, der auf die Wollust geizt
Und täglich seinen Leib zu neuen Lüsten reizt,
Der keine Pflichten kennt und lebt allein zum Schlemmen,
Läßt seine Lüste nicht durch Gottes Schreck-Bild hemmen,
Er leugnet, was er scheut, sperrt Gott in Himmel hin
Und läßt, wenn Gott noch ist, doch Gott nicht über ihn.
Nicht, weil zum Zweifel ihn Vernunft und Gründe leiten,
Nur, weil Gott, weil er herrscht, ihm Strafen muß bereiten.
 
    Ein Weiser, der vielleicht mit rühmlichem Verdruß, Ein kluger Mann, der in einem Lande, wo ein falscher Glaube herrscht, vom wahren keine Nachricht haben kann, ein Japoneser, ein Einwohner einer östlichen Insul, wohin keine europäische Nation einen Zugang hat; auch wohl ein solcher, der in einer irrenden und abergläubischen Kirche erzogen, mit Vorurteilen eingeschränkt und mit tausend Hindernissen, die reine Wahrheit der Offenbarung einzusehen, umgeben ist, ob ihm wohl das natürliche Licht die Torheit seiner angebornen Religion entdeckt. Diese Leute sind bekanntermaßen in der mächtigsten Kirche der Welt sehr häufig und fast täglich zahlreicher anzutreffen.
Des Aberglaubens satt, die Wahrheit suchen muß,
Haßt alles Vorurteil und sucht, aus wahren Gründen,
Beim Licht von der Vernunft sich in sich selbst zu finden.
Im Anfang führet ihn sein forschender Verstand
Nah zu der Wesen Grund und weit vom Menschen-Tand,
Bis, wann er itzt entfernt von irdischen Begriffen,
Im weiten Ozean der Gottheit wagt zu schiffen,
Vernunft, der Leitstern, fehlt und er aus Blindheit irrt,
Ein falsches Licht ihn führt und seinen Lauf verwirrt,
Er selbst im trüben Tag, den falsches Licht erheitert,
Sich nach den Klippen lenkt und endlich plötzlich scheitert.
Der arme Weise sinkt im Schlamm des Zweifels ein,
Er kennt sich selbst nicht mehr, sieht in der Welt nur Schein,
Hält sich für einen Traum, die Sinnen für Betrüger,
Verwirft, was jeder glaubt, und glaubt sich desto klüger,
Je weniger er weiß; der Gottheit helles Licht
Durchstrahlt den dunkeln Dunst verblendter Weisheit nicht;
Die Stimme der Natur ruft allzu schwach dem Tauben,
Wer zweifelt, ob er ist, kann keinen Schöpfer glauben.
    Unseliges Geschlecht, das nichts aus Gründen tut!
Dein Wissen ist Betrug und Tand dein höchstes Gut.
Du fehlst, sobald du glaubst, und fällst, sobald du
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