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Die Alpen

Titel: Die Alpen
Autoren: Albrecht von Haller
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wanderst,
Wir irren allesamt, nur jeder irret anderst.
So wie, wann das Gesicht gefärbtem Glase traut,
Ein jeder, was er sieht, mit fremden Farben schaut;
Nur sieht der eine falb und jener etwas gelber;
Der eine wird verführt, und der verführt sich selber;
Der glaubt an ein Gedicht und jener eignem Tand;
Den macht die Tummheit irr und den zuviel Verstand;
Der hofft ein künftig Glück und lebt darum nicht besser;
Und jenes Unglück wird durch seine Tugend größer;
Der Pöbel ist nicht weis', und Weise sind nicht klug;
Soweit die Welt sich streckt, herrscht Elend und Betrug:
Nur daß der eine still, der andre rasend glaubet,
Der sich allein die Ruh und jener andern raubet.
Und du, mein Stähelin! was hast du dir erwählt,
Da Glauben oft verführt und Zweifeln immer quält?
 
    Viel Irrtum hat der Mensch sich selber zugezogen:
Er ist, der Erde war, dem Himmel zugeflogen,
Wohin Vernunft nicht reicht, hat Stolz sich hingetraut,
Was an der Welt ihm fehlt, aus eignem Witz erbaut,
Die Schranken eng geschätzt, worin er denken sollen,
Und draußen fallen eh, als drinnen stehen wollen.
    Wie Gott die Ewigkeit erst einsam durchgedacht,
Warum einst, und nicht eh, er eine Welt gemacht;
Was unser Geist sonst war, eh ihn ein Leib bekleidet;
Und wie er soll bestehn, wann alles von ihm scheidet;
Wie erst ein ewig Nichts in uns zum Etwas ward;
Wie Denken erst begann und Wesen fremder Art
Der Seele Werkzeug sind; wie sich die weiten Kreise
Der anfangslosen Daur gehemmt in ihrer Reise,
Und ewig ward zur Zeit; und wie ihr seichter Fluß
Im Meer der Ewigkeit sich einst verlieren muß:
Das soll ich nicht verstehn und kein Geschöpfe fragen;
Es möge sich mein Feind mit solchem Vorwitz plagen!
    Genug, es ist ein Gott; es ruft es die Natur,
Der ganze Bau der Welt zeigt seiner Hände Spur.
Den unermeßnen Raum, in dessen lichten Höhen
Sich tausend Welten drehn und tausend Sonnen stehen,
Erfüllt der Gottheit Glanz. Daß Sterne sonder Zahl
Mit immer gleichem Schritt und ewig hellem Strahl,
Durch ein verdeckt Gesetz vermischt und nicht verwirret,
In eignen Kreisen gehn und nie ihr Lauf verirret,
Macht ihres Schöpfers Hand; sein Will ist ihre Kraft,
Er teilt Bewegung, Ruh und jede Eigenschaft
Nach Maß und Absicht aus. Kein Stein bedeckt die Erde,
Wo Gottes Weisheit nicht in Wundern tätig werde;
Kein Tier ist so gering, du weißts, o Stähelin!
Es zielt doch jeder Teil nach seinem Zwecke hin:
Ein unsichtbar Geflecht von zärtlichen Gefäßen,
Nach mehr als Menschen Kunst gebildet und gemessen,
Führt den bestimmten Saft in stetem Kreis-Lauf fort,
Verschieden überall und stets an seinen Ort;
Nichts stört des andern Tun, nichts fällt des andern Stelle,
Nichts fehlt, nichts ist zu viel, nichts ruht, nichts läuft zu schnelle;
Ja, in dem Samen schon, eh er das Leben haucht,
Sind Gänge schon gehöhlt, die erst das Tier gebraucht;
Der Mensch, vor dessen Wort sich soll die Erde bücken,
Ist ein Zusammenhang von eitel Meister-Stücken;
In ihm vereinigt sich der Körper Kunst und Pracht,
Kein Glied ist, das ihn nicht zum Herrn der Schöpfung macht.
    Doch geh durchs weite Reich, das Gottes Hand gebauet,
Wo hier in holder Pracht, vom Morgen-Rot betauet,
Die junge Rose glüht und dort im Bauch der Welt
Ein unreif Gold sich färbt und wächst zu künftgem Geld:
Du wirst im Raum der Luft und in des Meeres Gründen
Gott überall gebildt und nichts als Wunder finden.
    Mehr find ich nicht in mir: Gott, der in allem strahlt, Diese acht Verse stehen nicht in der ersten Auflage.
Hat in der Gnade sich erst deutlich abgemalt;
Vernunft kann, wie der Mond, ein Trost der dunkeln Zeiten,
Uns durch die braune Nacht mit halbem Schimmer leiten;
Der Wahrheit Morgen-Rot zeigt erst die wahre Welt,
Wann Gottes Sonnen-Licht durch unsre Dämmrung fällt.
Zu stammelnd für den Schall geoffenbarter Lehren
Soll die Vernunft hier Gott mit eignem Lallen ehren.
Sie führt uns bis zu Gott, mehr ist ein Überfluß.
Nichts wissen macht uns tumm, viel forschen nur Verdruß.
Was hilft es, himmelan mit schwachen Schwingen fliegen,
Der Sonne Nachbar sein und dann im Meere liegen?
Vergnügung geht vor Witz; auch Weisheit hält ein Maß,
Das Toren niedrig dünkt und Newton nicht vergaß.
Wer will, o Stähelin! ist Meister des Geschickes,
Zufriedenheit war stets die Mutter wahres Glückes.
Wir haben längst das Nichts von Menschen-Witz erkennt,
Das Herz von Eitelkeit, den Sinn von Tand getrennt;
Laß albre Weisen nur, was sie nicht fühlen, lehren,
Die Seligkeit im Mund und Angst im
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