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Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)

Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie des Bösen: Roman (German Edition)
Autoren: Gordon Dahlquist
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konnten als Unterschlupf für die noch lebenden Feinde dienen. Wenn die Spione der Contessa sie im Boniface fänden, schön und gut. Sie wäre nicht so leicht verwundbar.
    Und wenn ihr größter Feind die Zerstörung der Parchfeldt-Fabrik überlebt hatte? Miss Temple hatte Lord Robert Vandaariffs Gesicht zuletzt in einer Pfütze schwarzen Schleims gesehen, kurz davor, einem wütenden Mob in die Hände zu fallen … war er noch am Leben gewesen? Es wäre dumm, etwas anderes anzunehmen.
    Miss Temple blieb stehen (und die Diener in ihren scharlachroten Mänteln mit ihr), als die gepflasterte Straße auf einmal abfiel, und blickte auf einen Stadtteil hinab, den sie noch nie aufgesucht hatte. Ein Diener räusperte sich.
    »Sollen wir die Straße entlanggehen, Miss?«
    Miss Temple schritt voran, hinunter zum Fluss.
    Kardinal Chang hatte es ein einziges Mal erwähnt, doch das Detail – ein Name aus seinem verborgenen Leben – hatte Miss Temples Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie eine Silberspange eine Elster. Als sie vor dem Raton Marine stand, war sie auf den Schmerz nicht vorbereitet, der ihr Herz erfüllte. Das Wirtshaus lag in einem Gewirr schmutziger Straßen, deren Häuser zu beiden Seiten wie ein Betrunkener Schlagseite hatten. Die Leute auf der Straße, welche die fein gekleidete junge Dame mit den beiden Dienern in Livree unverhohlen anstarrten, kamen Miss Temple wie menschlicher Abschaum vor, Wesen, die kaum zwei Schritte tun konnten, ohne einen Flecken zu hinterlassen. Trotzdem war Kardinal Chang hier bekannt – diese heruntergekommene Gegend war seine Welt.
    Der Diener räusperte sich erneut.
    »Warten Sie hier«, sagte Miss Temple.
    Ein paar Männer – ihrem Aussehen nach Seeleute – saßen an Tischen vor dem Wirtshaus, und Miss Temple ging, ohne sie eines Blickes zu würdigen, an ihnen vorbei zum Eingang. Drinnen sah sie, dass das Raton Marine für eine breite Kundschaft eingerichtet worden war – Tische an den Fenstern mit ausreichend Licht zum Lesen, und Tische in dunklen Ecken, wo nicht einmal das helle Morgenlicht hingelangte. Eine Treppe führte auf eine Galerie, von der die Gästezimmer abgingen, deren offene Türen mit Wachstuch verhängt waren. Als sie sich den Gestank vorstellte, blähte sie die Nasenflügel.
    Vielleicht fünf Männer blickten bei ihrem Eintritt von ihren Getränken auf. Miss Temple ignorierte sie und ging zu dem Barkeeper, der eine Schüssel voller Silberknöpfe mit einem Lappen polierte und jeden einzelnen Knopf dann mit einem Klingeln in eine andere Schüssel warf.
    »Guten Morgen«, sagte Miss Temple.
    Der Barkeeper antwortete nicht, begegnete jedoch ihrem Blick.
    »Kardinal Chang schickt mich«, sagte sie. »Ich brauche einen fähigen Mann, der Gewalt gegenüber nicht abgeneigt ist, und das so bald wie möglich.«
    »Kardinal Chang?«
    »Kardinal Chang ist tot. Andernfalls bräuchte ich nicht hier zu sein.«
    Der Barkeeper blickte über ihre Schulter hinweg zu den anderen Männern, die offensichtlich zugehört hatten.
    »Das sind schlimme Nachrichten.«
    Miss Temple zuckte mit den Schultern. Der Blick des Barkeepers huschte zu dem Verband über ihrem Auge.
    »Haben Sie Geld, kleines Fräulein?«
    »Und ich lasse mich nicht betrügen. Das hier ist für Ihre Zeit und Mühe.« Miss Temple legte eine Goldmünze auf das polierte Holz. Der Barkeeper rührte sie nicht an. Miss Temple legte eine zweite Münze daneben. »Und die ist für den Mann, den Sie mir für meine Angelegenheiten empfehlen, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es ebenfalls Kardinal Changs Angelegenheiten sind. Wenn Sie ihn gekannt haben …«
    »Ich habe ihn gekannt.«
    »Dann freut es Sie ja vielleicht, wenn seinen Mördern mit gleicher Münze heimgezahlt wird. Ich versichere Ihnen, ich meine es ernst. Sagen Sie Ihrem Kandidaten, er soll diese Münze im Hotel Boniface vorzeigen und nach Miss Isobel Hastings fragen. Wenn er etwas von seiner Arbeit versteht, gibt es mehr.«
    Miss Temple wandte sich zum Gehen. An einem der Tische war ein Mann aufgestanden, der unrasiert war und fingerlose Handschuhe trug.
    »Wie hat es ihn erwischt, den alten Kardinal?«
    »Nun, er hat ein Messer in den Rücken bekommen«, erwiderte Miss Temple kühl. »Guten Tag allerseits.«
    Zwei unruhige Tage vergingen, bevor die Goldmünze zurückgebracht wurde. In der Zwischenzeit waren Miss Temples Kopfschmerzen verschwunden, ihr Dienstmädchen war eingetroffen (mit einem mürrischen Brief ihrer Tante, den sie unbeantwortet
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